© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Jubiläum: Vor 100 Jahren wurde der Bund Deutscher Bodenreformer gegründet
Der Boden ist ein allgemeines Gut
von Christian Böttger

 

Mit dem Begriff „Bodenreform" verbindet man wohl gegenwärtig im allgemeinen nur noch jenen 1945 in Mitteldeutschland durchgeführten gesellschaftlichen Umgestaltungsprozeß, der die Enteignung des meist aristokratischen Großgrundbesitzes zum Gegenstand hatte. Wer weiß beispielsweise heute noch von der großen Verbreitung und Ausstrahlung der Bodenreformidee bereits vor der Jahrhundertwende – bis weit in das politisch konservative und nationalliberale Spektrum hinein?

Daß führende Leitfiguren des nationalliberalen (besser nationalsozialliberalen) Lagers wie beispielsweise Friedrich Naumann engagierte Bodenreformer waren, ist völlig in Vergessenheit geraten. Seine berühmt gewordene, geradezu aufrüttelnde „Bodenreform-Andacht" wird selbst heute noch, in einer Zeit des politisch-moralischen Niedergangs, niemanden unberührt lassen. Die Aufnahme des Bodenreformgedankens durch die bürgerliche Jugendbewegung (Wandervogel) vor und nach dem Ersten Weltkrieg ist ebenfalls weitgehend unbekannt.

Friedrich Naumann war Verfechter der Bodenreform

Voraussetzung für das Entstehen und die Verbreitung dieser sozialen Reformbewegung mit ihrer antikapitalistischen Tendenz war die Grundrententheorie. David Ricardo (1772–1823) gilt als der erste Vertreter der klassischen Schule der Nationalökonomie, der wesentliche Elemente dazu formulierte. Genau den gleichen Gesetzen wie auf dem Lande, wenn auch von anderen Umständen bestimmt, gestaltet sich die städtische Grundrente. Die Grundeigentümer realisieren die Erträge der Grundrentensteigerung (in Form überdurchschnittlich steigender Wohnungs- oder Ladenmieten oder Bodenpreissteigerungen) ohne ihr Zutun, und zwar allein aufgrund ihrer Monopolstellung. Diese Monopolstellung ergibt sich aus der Tatsache, daß die Grundbesitzer den Boden erst für eine Bebauung freigeben, wenn sie die ihnen zusagenden Preise dafür realisieren können. So tragen die Grundbesitzer zu einer übermäßigen Grundrentensteigerung und damit zur Verteuerung der gesamten Lebenserhaltungskosten bei. Sie erlegen also der gesamten Gesellschaft einen Tribut auf. Dies ist nur möglich, weil der Boden gegenüber anderen Waren über einige Besonderheiten verfügt; er ist nicht produzierbar und nicht vermehrbar und sollte deshalb vernunftgemäß nicht dem Marktgeschehen unterworfen werden.

Besonders in Berlin war gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine Situation entstanden, die die Aufmerksamkeit weiter Kreise der Bevölkerung auf die Bodenproblematik lenkte. Der damals existierende Bebauungsplan bildete die Grundlage für eine gewerbsmäßige Bodenspekulation enormen Ausmaßes, da große Gebiete mit einem Schlag als zukünftiges Bauland ausgewiesen wurden.

Diese spekulative Umklammerung Berlins hatte wiederum Auswirkungen auf den Bodenpreis der bebauten und unbebauten Bezirke der Innenstadt, so daß eine ständige Wechselwirkung stattfand. Die Bodenspekulation wurde zu einem ernsten Problem für die gerade expandierende Großstadt, denn sie begann auch zunehmend die industrielle Entwicklung zu behindern.

Außerdem wurde sie hauptsächlich für das Mietskasernenelend verantwortlich gemacht. Die damals tonangebenden Sozialreformer waren sich deshalb einig darüber, daß soziale Reformen beim Boden beginnen müßten und der Boden nicht wie andere Waren behandelt werden dürfte. Damit knüpften sie auch direkt an die Ideen des amerikanischen Volkswirtschaftlers Henry George (1839–1897) an, der in seinem bereits 1880 ins Deutsche übersetzten Hauptwerk „Progress and Proverty" das private Bodeneigentum hauptverantwortlich für die sozialen Probleme machte. Inspiriert von den Reformvorstellungen Georges war auch in Deutschland 1888 der „Deutsche Bund für Bodenbesitzreform" entstanden, der anfänglich von Michael Flürscheim (1844–1912) geleitet wurde.

Ab 1890 begann die deutsche Bodenreformbewegung unter dem Einfluß einer anderen Persönlichkeit Gestalt anzunehmen, die für die weitere Entwicklung der Bewegung bestimmend werden sollte: Adolf Damaschke. Am 12. Oktober 1891 wurde Adolf Damaschke neben Michael Flürscheim und G. Stoffers in der Hauptversammlung des Deutschen Bundes für Bodenbesitzreform zum Bundesschriftführer gewählt. Bereits in seiner Kindheit, aber auch später als junger Volksschullehrer in Berlin, hatte Damaschke die beengten Wohnungsverhältnisse der unteren Volksschichten kennengelernt. Seine von ihm selbst veranlaßte Entlassung aus dem Schuldienst im November 1896 stand in direktem Zusammenhang mit einem neuen Aufgabengebiet als Chefredakteur der Kieler Neuesten Nachrichten, die er hoffte, zu einem zentralen Bodenreformorgan ausbauen zu können. Mit Damaschkes geplanter Übersiedlung nach Kiel ergaben sich grundsätzlich Probleme für das Fortbestehen des Bundes. Flürscheim befand sich stets auf Reisen, und Stoffers lebte in Düsseldorf, so daß der Weggang Adolf Damaschkes, der den Hauptteil der laufenden Arbeit trug, eine unersetzliche Lücke hinterlassen hätte. Die Verantwortlichen der Organisation gelangten zu der Auffassung, daß es günstiger sei, die bodenreformerische Arbeit in größere Organisationen einfließen zu lassen. Der „Deutsche Bund für Bodenbesitzreform" sollte als besondere Abteilung in den „Deutschen Volksbund" überführt werden, doch mußte auch dieser kurze Zeit später seine Arbeit einstellen.

Wiederaufrichtung eines nationalen Rechtes

Eine andere dieser Organisationen war der Nationalsoziale Verein, den Friedrich Naumann (1860–1919) zusammen mit Adolf Damaschke und von Adolf Stöcker (1835–1909) enttäuschten Christlichsozialen am 23. November 1896 im Kaisersaal von Erfurt gründete. Diese Partei, die „eine Politik der Macht nach außen und der Reform nach innen" anstrebte, existierte nur von 1896 bis 1903. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß Damaschke stets konsequent allen aggressiv-militaristischen Auffassungen innerhalb dieser Partei offen entgegentrat.

Die Einbindung des Bodenreformgedankens in andere Organisationen erwies sich als unbefriedigend und wenig effektiv. Ehemalige Bundesmitglieder drängten Damaschke, der nach dem Scheitern des Kieler Projektes wieder in Berlin tätig war und für die Zeit und die Welt am Montag arbeitete, die Bodenreformorganisation zu erneuern. Am 2. April 1898 wurde der „Bund Deutscher Bodenreformer" auf neuer Grundlage mit neuem Programm gegründet und Adolf Damaschke zu seinem Vorsitzenden gewählt. Bereits 1906 zählte der Bund 200.000 körperschaftlich angeschlossene und Einzelmitglieder. Er trat für die Verstaatlichung der Wasserkraft und Bodenschätze ein. Städte und Gemeinden sollten möglichst viel Grundbesitz erhalten bzw. erwerben und nur in Pacht und Erbbaurecht vergeben. Eine „gerechtere Art der Besteuerung" wurde angestrebt, um einen Teil des unverdienten Bodenwertzuwachses abzuschöpfen.

Der Bodenreformbewegung war in Deutschland von Anfang an eine latent nationale Komponente eigen. Diese resultierte aus der Erkenntnis der vermeintlichen Ursachen und des Zeitraumes der Usurpation des gesellschaftlichen Eigentums an Grund und Boden durch einzelne Mitglieder der Gesellschaft. Die Anhänger der Bodenreformbewegung sahen diese Ursachen in der Ablösung des „deutschen Bodenrechts" (Nutzungsrecht) durch das „römische Bodenrecht" (Besitzrecht). Folgerichtig wurde gemäß dieser Denkrichtung von vielen Bodenreformern die Beseitigung des römischen Bodenrechts und die „Wiederaufrichtung eines nationalen Rechtes" (Franz Oppenheimer) gefordert.

Obwohl die Wortführer der verschiedenen Bodenreformorganisationen durchaus erkannten, daß das Bodennutzungsrecht nichts spezifisch Deutsches war, bestanden sie auf der Lösung vom „deutschen Bodenrecht", womit sie offentsichtlich die Aufmerksamkeit national gesinnter Kreise auf sich zu ziehen hofften. In diesem Zusammenhang wird die politische Nähe vieler Bodenreformanhänger zum Nationalsozialen Verein verständlich.

Größte politische Relevanz in der Weimarer Republik

Die größte politische Relevanz erlangte der „Bund Deutscher Bodenreformer" nach dem verhängnisvollen Ersten Weltkrieg mit der Einführung der Weimarer Verfassung. Dem Bund war es gelungen, 76 eingeschriebene Mitglieder aus ganz verschiedenen Parteien in die Nationalversammlung zu bringen. Dennoch hatten die in den meisten Parteien tonangebenden Kräfte die Bodenfrage bei der Einarbeitung des Entwurfes für eine neue Reichsverfassung wieder unter den Tisch fallen lassen. Alles schien verloren.

Jetzt war rasches Handeln angesagt. In einer von den Bodenreformer schleunigst verfaßten Eingabe vom 27. Februar 1919 wurde gefordert, daß die Bodenreform unter den „Grundrechten des deutschen Volkes" in der neuen Verfassung verankert würde. Diese Eingabe, die Hunderttausende von Unterschriften enthielt, hatte vollen Erfolg. Adolf Damaschke und seine Anhänger konnten die ersten sichtbaren Früchte eines zähen und unermüdlichen Kampfes ernten. In die „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" wurde der Artikel 155 eingeführt:

„Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, der Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrechte besonders zu berücksichtigen. Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden…"

Damit war der Grundgedanke der Bodenreform erfaßt. Eine praktische Umsetzung dieses Artikels fand jedoch kaum statt. Zwar verabschiedete die Nationalversammlung noch im Schatten der Revolution am 10. Mai 1920 das Reichsheimstättengesetz, doch kam die dazu notwendige Reform des Enteignungsgesetzes aufgrund der parlamentarischen Mehrheiten nicht zustande. Tief enttäuscht wandte sich Adolf Damaschke in seinen letzten Lebensjahren von dem damals von Interessentengruppen beherrschten demokratischen Parlamentarismus, in den er 1918 so viele Hoffnungen gesetzt hatte, ab.

So ist es auch zu verstehen, daß sich 1933 die Erwartungen vieler Bodenreformer auf dirigistische Maßnahmen des durch die Nationalsozialisten usurpierten Staates richteten, zumal ja im Parteiprogramm der NSDAP der Punkt 17 den Passus einer „unseren nationalen Bedürfnissen angepaßten Bodenreform" enthielt. Adolf Damaschke war aber zu sehr konservativer Sozialreformer und Humanist, der lediglich mit Hilfe eines sozialen Bodenrechtes den Einzelmenschen in seine Gemeinschaft zurückbinden wollte, als daß er sich ganz ohne Verrenkungen hätte zum „völkischen Vorzeige-Revolutionär" umfunktionieren lassen können. Und so versäumten die Nationalsozialisten in der Folgezeit auch keine Gelegenheit, die „politischen Gegensätzlichkeiten" zwischen der NSDAP und den Bodenreformern aus der Zeit vor 1933 hervorzuheben.

Der spätere Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reichsbauernführer Richard Walter Darré (1895–1953) hatte bereits 1931 im Völkischen Beobachter gegen den Bund Deutscher Bodenreformer (BDB) und seinen Vorsitzenden polemisiert – ohne allerdings damit in seinen eigenen Reihen auf allzu viel Gegenliebe zu stoßen. Dennoch wurde der Bund im nationalsozialistischen Deutschland vorerst nicht aufgelöst, kam aber nach dem Tode Adolf Damaschkes im Jahre 1935 völlig zum Ruhen. Nach dem Zweiten Weltkrieg soll die Organisation unter dem Namen „Bund für Land und Freiheit" in Westdeutschland und Berlin weiterbestanden haben. Die Namensänderung diente zur Abgrenzung von der nach 1945 in Mitteldeutschland durchgeführten Bodenreform.

Den Einzelnen wieder in die Gemeinschaft einbinden

Heute wird die Idee der Bodenreform noch in den verschiedenen Organisationen der NWO-Bewegung („natürliche Wirtschaftsordnung"), die sich auf die Lehre Silvio Gesells berufen, wachgehalten. Sie führt aber auch dort ein kümmerliches Schattendasein. Obwohl die Grundrententheorie weder widerlegt noch durch andere Theorien ersetzt wurde, ist sie heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Die nun schon fast 50 Jahre andauernde Totalverwestlichung der alten Bundesrepublik hat auch hier deutlich ihre Spuren hinterlassen. Mit ihrer Hilfe ist es gelungen, viele sozialkonservative Denktraditionen des deutschen Bürgertums, die sich aufgrund ihrer antikapitalistischen Stoßrichtung als inkompatibel mit der modernen Ausbeuterordnung westlicher Provenienz erwiesen haben, gründlich auszulöschen.


 
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