© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/98 10. April 1998

 
 
Gezinkte Karten
von Hans B. von Sothen

Der scheidende türkische Botschafter in Bonn, Vural, hat die in Deutschland lebenden gut 2 Millionen Türken aufgerufen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, um dadurch an den Wahlurnen Druck auf die deutsche Regierung auszuüben. Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz läßt seit Wochen keine Gelegenheit aus, den Kanzler zu beleidigen. Die Enttäuschung über die Verweigerung der EU-Mitgliedschaft der Türkei sitzt tief.

Eine künftige Bundesregierung, so Yilmaz, werde nicht "den historischen Fehler begehen", der Türkei für eine EU-Mitgliedschaft "die Tür vor der Nase zuzuschlagen". Zusätzlich üben die USA seit langem Druck auf Bonn aus, das NATO-Mitglied Türkei über die EU-Mitgliedschaft fester in das westliche System einzubinden. Für Bonn gibt es aber viele Gründe, die Mitgliedschaft der Türkei nicht zu fördern. Deutschland, das einen inzwischen absurd hohen Anteil in die EU-Umverteilungskasse zahlt, hätte noch einen Versorgungsfall mehr zu bedienen. Der wichtigste Grund aber ist, daß in diesem Fall eine unbegrenzte Zu- und Nachzugsmöglichkeit für Türken nach Deutschland bestände. Die Folgen für den Arbeitsmarkt und die Sozialhilfekassen wären unabsehbar. Außerdem wächst die Anzahl an inzwischen immer weniger assimilierungswilligen Türken in Deutschland beständig. Es gibt Bezirke in der Bundeshauptstadt Berlin, in denen dort geborene junge Türken keinen zusammenhängenden deutschen Satz hervorbringen können, weil einfach keine Notwendigkeit mehr besteht, Deutsch zu lernen. Ihre Umgebung ist inzwischen rein türkisch geprägt. Deutschland spielt in ihrem Alltag schlicht keine Rolle mehr. Hier wächst ein sozialer Sprengstoff heran, von dem man auch in Bonn etwas zu ahnen beginnt.

Bonn schiebt Menschenrechtsgründe vor, nennt aber die eigentlichen Gründe nicht. Das wird von der Türkei zu Recht als Heuchelei und Doppelzüngigkeit bezeichnet. Aber auch die türkischen Regierungen haben mit Bonn seit Jahren mit gezinkten Karten gespielt. Einer erheblichen Anzahl von Türken, die aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen werden mußten, weil sie um Einbürgerung in Deutschland nachsuchten, wurde sofort nach dieser Prozedur wieder ein türkischer Paß ausgestellt. Und dieses Vorgehen ist eher die Regel als die Ausnahme. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist für Türken daher bereits durch die Türkei de facto per Vertragsbruch eingeführt worden. Im internationalen Verkehr würde man dieses Verhalten normalerweise als einen "unfreundlichen Akt" charakterisieren. Ein Entreebillet für die EU ist es jedenfalls nicht.


 
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