© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
Bauwirtschaft: Im Osten gehen die Investitionen zurück
Aktien als Alternative
von Gerhard Quast

Die Ursache für das momentan schlechte Abschneiden der deutschen Industrieproduktion sei vor allem die gesamtdeutsche Baukrise, heißt es in einem Monatsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums von vergangener Woche. Diese wiederum sei – zumindest in bezug auf die Großbaustelle Berlin, wo derzeit Zehntausende Bauarbeiter ohne Arbeit sind – vor allem hausgemacht, ergänzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Daß das deutsche Baugewerbe gegenüber den ausländischen Anbietern nicht konkurrenzfähig sei, liege nicht an den billigen ausländischen Arbeitskräften, sondern daran, daß die einheimische Branche durch die jahrzehntelange Isolierung Westberlins notwendige Innovationen nicht durchführte.

Dieser Ansicht widersprach der Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg, der darauf hinwies, daß einheimische Betriebe immer noch anderen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen unterworfen seien als ausländische Betriebe. Ein deutscher Bauarbeiter koste im Schnitt rund 50 bis 60 Mark pro Stunde, für einen ausländischen Bauarbeiter müsse ein Subunternehmer hingegen nur mit der Hälfte der Kosten rechnen. Dies wirke sich weit nachteiliger aus als der vom DIW unterstellte technologische Rückstand.

Doch die Bauwirtschaft ist keineswegs nur durch ausländische Anbieter auf Talfahrt; längst machen sich brancheneigene Schwierigkeiten bemerkbar. Darauf hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hingewiesen. Dieser rechnet für 1998 mit Entlassungen in Größenordnungen von 100.000. Exakt diese Zahl hat vergangene Woche das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie von Frank Söffner genannt.

Nach Berechnungen des Instituts werden in Westdeutschland die Bauinvestitionen im Wohnungsbau 1998 um ein Prozent steigen. Dieser Aufwärtstrend geht vor allem auf eine positive Entwicklung im Eigenheimbau zurück. Im Unterschied dazu seien die Aussichten für den Geschoßwohnungsbau nach wie vor ungünstig. Grund dafür seien die auftretenden Vermietungsprobleme. Zudem bevorzugen viele potentielle Kapitalanleger Aktien als Alternative zu einer Immobilienanlage, so der Verfasser. Positiv wirke sich die finanzielle Förderung von Umweltschutzmaßnahmen aus, insbesondere der Wärmedämmung von neueren Gebäuden und des Neubaus von Niedrigenergiehäusern. Für den Bereich des Wirtschaftsbaus wird 1998 mit einer verminderten Investitionssumme, für 1999 allerdings mit einem Anstieg von zweieinhalb Prozent gerechnet. Dennoch sei die Investitionsneigung wegen der unsicheren Wirtschaftsentwicklung "weiterhin verhalten", so Söffner.

Weit besser sehe es im Bereich der öffentlichen Investitionen aus, die in den letzten Jahren wegen der Rücksichtnahme auf die Erfüllung der Kriterien des Maastricht-Vertrages stark zurückgeschraubt wurden. "Auch wenn die restriktive Finanzpolitik grundsätzlich forgesetzt" werde, "dürfte nach dem Erreichen des Maastricht-Referenzwertes beim Staatsdefizit der Konsolidierungsdruck doch etwas schwächer werden".

Ein gegensätzlicher Trend ist in den neuen Bundesländern zu spüren, wo für 1998 ein Rückgang der Investitionen um insgesamt vier Prozent prognostiziert wird. Im Bereich des Wohnungsbaus sei der Zenit überschritten. Die durch "Superabschreibungen" zustande gekommenen zweistelligen Zuwachsraten gehören mit dem Auslaufen des Fördergebietsgesetzes der Vergangenheit an. Erschwerend kommt hinzu, daß mit einer Anhebung des Mietenniveaus wegen verhältnismäßig niedriger Einkommen und ausgesprochen hoher Arbeitslosigkeit kaum zu rechnen ist.

Weit schwerwiegender wirkt sich das Überangebot an Gewerberäumlichkeiten aus. Während nach der Wiedervereinigung viele westdeutsche Unternehmen wegen der reichlich fließenden Subventionen und der neuen Absatzmärkte ihre Aktivitäten in den Osten verlagerten, ist hier seit 1996 eine Wende vollzogen: Einkaufszentren, Fabrik- und Bürogebäude wurden reichlich gebaut, Überkapazitäten machen sich bemerkbar. Auch mit dem Auslaufen des Investitionsprogramms "Telekom 2000", mit dem in sieben Jahren 5,8 Millionen Telefonanschlüsse finanziert wurden, entfallen im Wirtschaftsbau wichtige Impulse. Lediglich in den Bereichen Umweltschutz, Energie- und Wasserversorgung seien größere Investitionen zu erwarten. Das ifo-Institut rechnet deshalb mit einem Rückgang der Investitionen im Wirtschaftsbau um zehn Prozent im Jahr 1998 und um weitere sechs Prozent im kommenden Jahr. Ein wichtiger Impuls bei den öffentlichen Bauvorhaben bleiben hingegen 1998 die Straßenprojekte Deutsche Einheit.

Während also im Westen die Bauinvestitionen leicht nach oben weisen, ist in den neuen Bundesländern mit einem erheblichen Rückgang der Investitionen im Wohnungs-, Wirtschafts- und öffentlicher Bau zu rechnen. Diese gegensätzliche Entwicklung wird die wirtschaftliche Situation in den östlichen Bundesländern weiter verschärfen und das schon jetzt vorhandene Gefälle bei den Arbeitlosenzahlen zumindest für den Bereich der Bauwirtschaft verstärken.

Eine Möglichkeit, wie in dieser Branche Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, sei eine Ökologisierung des Steuersystems, so die Ansicht der IG BAU. Die Gewerkschaft erhofft sich davon eine Senkung der Personalkosten mit der Folge, daß die Konkurrenz ausländischer Billiganbieter beendet würde. Zudem würden Investitionen im Umweltbereich wirtschaftlich rentabler, was wiederum der Bauwirtschaft zugute käme. In Zeiten des Wahlkampfes scheinen Impulse in diese Richtung aber nicht zu erwarten, schließlich gehöre "die Ablehnung der ökologischen Steuerreform zur Pflichtlitanei jedes Industrievertreters", so Ernst Ulrich von Weizsäcker in einer Veröffentlichung der IG BAU.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen