© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
Kolumne
Historischer Sieg
Von Karlheinz Weissmann

Nun steht wieder ein Gedenken an das annus mirabilis bevor. Noch einmal werden diese ungekämmt wirkenden APO-Veteranen aufgeboten, die uns erklären, wie sehr sie die Revolution geliebt haben, noch einmal werden junggebliebene Verantwortungsträger aus den Bereichen Politik und Medien erzählen, wie sie bei ihrer Karriere den alten Idealen treu geblieben sind, und noch einmal werden sich Mitläufer bewegt erinnern, wie sie ein Che-Guevara-Plakat in ihrer Bude aufgehängt haben und Mutter ganz entsetzt war.

Das Gedenken gilt aber nicht irgendeiner Vergangenheit, es gilt einem historischen Triumph. Die Achtundsechziger haben gesiegt. Natürlich nicht in dem Sinn, daß der Seminar-Marxismus herrschende Lehre geworden wäre, auch nicht in dem Sinn, daß die jungen Leute alle in Kommunen leben möchten, nicht einmal in dem Sinn, daß selbstbestimmte Sexualität schon im Kinderladen stattfindet. Die Achtundsechziger haben gesiegt, wie Revolutionäre siegen: indem sie Macht übernehmen. Daß ihnen das gelungen ist, zeigt bereits ein Blick auf das Deutungsmonopol, das sie heute für ihre Taten und Untaten besitzen.

Wenn es vor fünf, zehn und zwanzig Jahren noch eine gewisse Opposition gegen die jetzt vorherrschende Lesart der Ereignisse gegeben hat, so ist davon nichts mehr zu spüren: ’68 erscheint nur noch als gigantisches Happening, bei dem es irgendwie um Freiheit ging, und nicht als Mischung aus ideologischem Unsinn, Druck der Straße und Terror gegen einzelne, der selbstverständlich Opfer forderte. Daß die Achtundsechziger gesiegt haben, zeigt ein zweiter Blick, den man auf die einflußreichen Stellungen richten muß, die sie mittlerweile übernommen haben. Ihr "Marsch" ist in allen Institutionen angekommen.

Gegen die Ideen von ’68 zu kämpfen, hat deshalb wenig Sinn. Die neue Linke ist alt geworden, sie ist nicht mehr revolutionär, sondern auf Erhaltung aus, ohne Interesse an der Emanzipation, vielmehr auf Einordnung in den neuen Konsens bedacht. Gegen die Achtundsechziger anzugehen, setzt deshalb Individualismus und Subversionsbereitschaft voraus. Die Lage ist damit nicht einfacher als für die Protagonisten des großen Aufbruchs vom Anfang der sechziger Jahre, die fürchteten, daß in Zukunft Ludwig Erhards "formierte Gesellschaft" samt NPD und Notstandsgesetzen eine "faschistoide" und von den Deutschen wie immer gehorsam akzeptierte Ordnung hervorbringen würde. Die Lage ist nicht einfacher, aber auch nicht aussichtsloser.


 
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