© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
Bad Honnef: Erzbischof Dyba unter Applaus zurechtgewiesen
Wir brauchen etwas Mut
Von Lothar Groppe S.J. S J

Der Streit um die Schwangerschaftskonfliktberatung und die Ausstellung von Bescheinigungen katholische Beratungsstellen erregt seit Wochen die Öffentlichkeit. "Der Auftrag, das Leben in allen seinen Phasen zu schützen, läßt keinen Abstrich zu", heißt es im Brief des Papstes an die deutschen Bischöfe. Theoretisch ist dies wohl jedermann klar, wenngleich nicht alle bereit sind, die logischen Konsequenzen zu ziehen.

Inzwischen hat sich bei vielen die Erkenntnis durchgesetzt, daß der vom Gesetz geforderte Beratungsschein bei der Schwangerschaftskonfliktberatung – wenn auch nicht beabsichtigt – zur "Tötungslizenz" pervertierte. Auch nichtkatholische Juristen stimmen darin überein, daß der einzige Zweck des Scheins die Erlaubnis zur straffreien Tötung eines ungeborenen Kindes ist. Jedermann wisse, so Siegmund Knippel in der Welt, daß man "den Schein in der Klinik vorlegen" müsse, wenn man das Kind "straflos ‘wegmachen’ lassen" wolle. Bischof Lehmann hatte bereits am 10. Juni 1992 erklärt: "Die Beratungsstellen können sich nicht in ein Verfahren einbinden lassen, das die Ausstellung eines Beratungsscheins zu einer wesentlichen Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung eines ungeborenen Menschen macht." Dennoch stellen auch die kirchlichen Beratungsstellen auf Wunsch den Beratungsschein aus. Man könnte dies die Konsequenz der Inkonsequenz nennen.

Doch eine Ausnahme gibt es: Erzbischof Johannes Dyba stieg im Alleingang aus der Schwangerschaftskonfliktberatung aus, was ihm nicht wenige seiner Kollegen als mangelnde Solidarität verübelten. Wenn ihn bischöfliche Kollegen nun deswegen vor kurzem "unter tosendem Applaus" auf der Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe in Bad Honnef zurechtgewiesen haben, wie die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) berichtete, dürfte selbst dem einfältigsten Gemüt klar sein, daß man den Sack schlägt und den Esel meint. Auf gut deutsch: Der Protest richtet sich letztlich gegen den Papst, der die Bischöfe eindringlich bittet, Wege zu finden, damit ein Beratungsschein, der "faktisch eine Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibung" hat, "in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen nicht mehr ausgestellt wird".

Erzbischof Dyba ist nach langem Ringen um eine mit dem christlichen Sittengesetz vereinbare Lösung aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestiegen, weil sie zwingend die Ausstellung eines Beratungsscheins fordert. Wenn er diesen als "Tötungslizenz" bezeichnet, hat er sich noch zurückhaltend geäußert. Kardinal Höffner nannte die Abtreibung "Massenmord im Mutterleib". Und Papst Johannes Paul II. sprach in einem zu Beginn dieses Jahres in Washington verlesenen Brief sogar von "immer noch andauerndem Holocaust unschuldigen Lebens". Schon in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes von 1948 heißt es: "…Ich werde die höchste Achtung vor dem menschlichen Leben bewahren, vom Beginn der Empfängnis an…". Nur schöne Worte?

Tatsächlich trifft nach dem Wortlaut des heutigen Paragraphen 211 Strafgesetzbuch der Begriff "Mord" auf die Abtreibung nicht zu. Allerdings hat diese Tatsache einen makabren Hintergrund. Bis zum 4. September 1941 wurde "Mord" definiert als die "mit Überlegung ausgeführte vorsätzliche Tötung eines Menschen". Nach diesem Datum wird nicht mehr der "Mord", sondern der "Mörder" definiert, damit die Massenmorde an Geisteskranken, Juden oder Zigeunern nicht unter diesen Begriff fielen, sondern als logische Konsequenz der "Rassenhygiene" gelten konnten.

Gipfelpunkt des menschenverachtenden Zynismus ist es, wenn Politiker und Medienleute larmoyant beklagen, wir verfügten immer noch nicht über flächendeckende Abtreibungskliniken. Sie behaupten, man lasse die Frauen in der Not allein. Das Beispiel Erzbischof Dybas beweist das Gegenteil. Seit er aus der Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestiegen ist, die zwingend die Ausstellung eines Beratungsscheines vorschreibt, stieg die Zahl der Beratungen für Mütter in Not in seiner Diözese alljährlich kontinuierlich um fünf Prozent an.

Anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz beklagten die Bischöfe das "Versagen" der Vätergeneration, nicht zuletzt ihrer bischöflichen Amtsbrüder, gegenüber dem NS-Regime. Jedoch waren die Bischöfe während des Dritten Reiches in der Verteidigung der Menschenrechte durchaus konsequenter als die heutigen Oberhirten. Spätere Generationen werden fragen, warum Bischöfe durch Ausstellen von "Tötungslizenzen" am Massenmord ungeborener Kinder mitschuldig werden konnten, obwohl sie, ganz anders als ihre Amtsbrüder in der Nazizeit, keinerlei Gefahr für Leib und Leben zu befürchten hatten.

Eine Arbeitsgruppe von Bischöfen und sachkundigen Laien soll bis zum 1. Januar 1999 eine Lösung des Problems finden, ob und wie ein Verbleib im staatlichen System möglich sei. Erzbischof Dyba hingegen meint – sehr zum Mißfallen seiner bischöflichen Kollegen –, man solle "nicht so tun, als müßten wir das Rad neu erfinden. Jedes Kind hat doch inzwischen begriffen, worum es geht. Wir brauchen Einsicht und etwas Mut, um diese Einsicht in der Kirche durchzusetzen. Die Kraft zur Lösung kommt aus dem Gebet und dem Glauben, nicht aus Hinhaltetaktik und der Lobby der Interessenten."

In Hessen gibt es inzwischen die absurde Lage, daß beispielsweise "Pro Familia" für jeden Beratungsschein, den sie in einer Vietelstunde ausstellt, 150 Mark erhält. Die Beratungsstellen von Erzbischof Dyba, die sich oft monatelang der Frauen annahmen, erhalten lediglich Beträge zwischen 60 und 80 Mark. So honoriert der Staat die Tötung, nicht aber den Schutz des Lebens. Bischof Graf von Galen mahnte in seiner Predigt vom 3. August 1941: "Wehe den Menschen, wehe unserem Volk, wenn das heilige Gottesgebot ‘Du sollst nicht töten!’ nicht nur übertreten, sondern sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!"

Wir brauchen keine Arbeitsgruppe, um die angebliche "Quadratur des Kreises" zu lösen. Erzbischof Dyba hat im mutigen Alleingang den einzig konsequenten Weg gewiesen, als er aus der Schwangerschaftskonfliktberatung ausstieg, gleichzeitig aber – wie es auch der Papst in seinem Brief an die Bischöfe forderte – die Hilfe für Mütter in Not verstärkte. Wenn ihm seine Amtsbrüder folgen, helfen sie der Kirche und ihre weitgehend verlorengegangene Glaubwürdigkeit als Hüterin des Lebens wiederzugewinnen.


 
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