© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Vor 50 Jahren: Frankreichs Einfluß bei der deutschen Staatswerdung
Deutschland lieber geteilt
von Alfred Schickel

Die politischen Konstellationen des Jahres 1948 ähneln verblüffend denen des Jahres 1919: Die Vereinigten Staaten sind zum Handeln entschlossen und haben die Briten ohne Wenn und Aber an ihrer Seite, sehen sich durch Frankreich gebremst und von Moskau dringend gewarnt. Wie schon 1919 gingen die USA daran, ein besiegtes Deutschland nach ihren eigenen politischen Vorstellungen neu zu ordnen und zu gestalten. Wie 1919 nahmen sie dabei ihren eigenen Staatsaufbau zum Vorbild und gedachten ihn den Deutschen als freiheitlich-demokratische Republik mit einer ansehnlichen Zentralgewalt zu vermitteln.

Für die Franzosen waren solche Tendenzen ein Grund zur Besorgnis. Außenminister Georges Bidault drückte das am 13. Februar 1948 so aus: "Wir lehnen uns gegen die Wiederherstellung des Deutschen Reiches der Vergangenheit auf … Ein föderalistisches Deutschland und eine wirksam kontrollierte Ruhr sind die Grundbedingungen für die Sicherheit Frankreichs."

Und die Sowjetunion legte das Vorhaben Washingtons, aus den drei westlichen Besatzungszonen einen westdeutschen Staat zu formen und die dazu erforderlichen Schritte auf einer Dreimächte-Konferenz in London zu beraten, entschieden Einspruch ein. In einer Note an die Westmächte vom 14. Februar 1948 nannte sie die geplante Konferenz "eine Verletzung der Potsdamer Beschlüsse" und kündigte an, alle dort gefaßten Beschlüsse als "nicht rechtmäßig und nicht gültig" zu betrachten.

Paris, London und Washington wiesen den sowjetischen Protest zurück und luden zu ihrer Konferenz nach London noch die Niederlande, Belgien und Luxemburg ein. Einen Antrag Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei, "als Opfer Deutschlands" gleichfalls hinzugezogen zu werden, lehnten die Westmächte jedoch ab. Sie sahen in ihm nur ein Manöver Moskaus, die Londoner Konferenz zum Scheitern zu bringen.

 

Die Sowjets protestierten gegen die Pläne der USA

Sie wollten nicht die Erfahrungen mit den bislang stets gescheiterten Außenminister-Konferenzen der "Großen Vier" fortsetzen, die alle Vierteljahre mit regelmäßig demselben Ergebnis geendet hatten. Darauf verwies das erste Kommuniqué nach der ersten Phase der Sechsmächtekonferenz am 6. März 1948, als es die "immer unangenehmeren Auswirkungen für Westeuropa" dieser chronisch vergeblichen Viermächtekonferenzen als einen der Beweggründe für die einberufene Londoner Sechsmächtekonferenz benannte.

Moskau gab jedoch seinen Widerstand gegen das Vorhaben der Westmächte, eine gewisse wirtschaftliche Zusammenführung der westeuropäischen Staaten unter Einschluß der drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands einzuleiten, noch nicht auf, sondern richtete am 8. März 1948 eine weitere Protestnote an die drei Westmächte. Darin warf der Kreml seinen einstigen Kriegsverbündeten nicht nur den Bruch früherer Vereinbarungen vor, sondern schlichtweg auch "eine Spaltung Deutschlands".

Nach sechswöchiger Unterbrechung trat die Sechsmächtekonferenz am 20. April wieder zusammen und befaßte sich mit konkreten wirtschaftlichen und deutschlandpolitischen Fragen, nachdem sich am 20. März der für Gesamtdeutschland zuständige "Alliierte Kontrollrat" durch den ostentativen Auszug des sowjetischen Militärgouverneurs, Marschall Sokolowskij, praktisch aufgelöst hatte. Als Grund für den Abbruch der unter seinem Vorsitz tagenden Kontrollratssitzung gab Sokolowskij im übrigen die Weigerung seiner westlichen Kollegen an, "den Kontrollrat über die in London vorbereiteten Beschlüsse zu informieren und über jene Weisungen Rechenschaft zu geben, die im Zusammenhang mit den einseitigen Londoner Beschlüssen in der deutschen Frage an sie gegangen sind". Wie Studien der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) ergaben, war die vor 50 Jahren tagende Londoner Sechsmächtekonferenz in der Tat eine folgerichtige Station auf dem Wege einer neuen amerikanischen Deutschlandpolitik, die im Sommer 1946 im Weißen Haus von Präsident Truman und Außenminister Byrnes konzipiert worden war und bereits zum Zusammenschluß der amerikanischen und der britischen sowie am 1. Januar 1948 auch der französischen Besatzungszone geführt hatte. Die nur halbherzig mitziehenden Franzosen, denen ein aufgeteiltes Deutschland aus Sicherheitsgründen willkommener war als ein einheitlicher Nachbarstaat mit über sechzig Millionen Einwohnern, wurden überlieferten Quellen zufolge durch eine ansehnliche Dollarsumme zum Beitritt zur britisch-amerikanischen "Bizone" veranlaßt. Vollständig ausgeräumt waren die französischen Vorbehalte gegenüber der neuen amerikanischen Deutschlandpolitik jedoch nicht. Das zeigte sich am 7. Mai 1948, als die französischen Vertreter, Couve de Murville und Hervé Alphand, eine Unterbrechung der Konferenz beantragten. Als Hauptstreitpunkte zwischen den Anglo-Amerikanern und den Franzosen hatten sich die Gestaltung der Ruhrkontrolle und die geplante westdeutsche "Verfassunggebende Versammlung" herauskristallisiert. Den Franzosen erschien die vorgesehene Kontrolle des Ruhrgebiets zu "locker" und die "Verfassunggebende Versammlung" "verfrüht".

Ein am 22. März 1948 von den Amerikanern abgefaßtes Memorandum hatte Zielrichtung und Termine für die nächste Zukunft vorgegeben. Danach sollte "auf der Basis der bizonalen Frankfurter Verwaltung" bis zum 15. September 1948 eine "provisorische deutsche Regierung" gebildet werden und danach die Einberufung einer "Verfassunggebenden Versammlung" erfolgen. Die Franzosen erreichten durch ihren Widerstand neben einem Zeitaufschub die Umkehrung der geplanten Schritte zu einem westdeutschen Staat. Zuerst sollte eine verfassunggebende Versammlung berufen werden und erst danach eine Regierungsbildung zustandekommen.

Eine Abfolge, die bekanntlich dann auch eintrat. Sie lag auch im Sinne der kleineren Nachbarstaaten Deutschlands, die es gleichfalls nicht so eilig mit der deutschen Staatswerdung hatten. Mit den erzielten Teilerfolgen und Zeitaufschüben fiel es den Regierungen in Paris, Brüssel, Luxemburg und Den Haag schließlich nicht mehr so schwer, den "Londoner Beschlüssen" vom Juni 1948 zuzustimmen. Ihr Herzstück war neben der Errichtung einer "Internationalen Ruhrbehörde" die Festlegung der "Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Organisation Deutschlands".

Die Französische Nationalversammlung formulierte allerdings auch ihre Bedenken und stimmte den Londoner Vereinbarungen mit nur 14 Stimmen Mehrheit zu. Die französischen Parlamentarier erläuterten ihre Erwartungen von der Verwirklichung der Londoner Beschlüsse und forderten von ihrer Regierung, "daß sie die wirksame Teilnahme Frankreichs an der Kontrolle des deutschen Industriepotentials im Hinblick auf die Durchführung der Enteignung der früheren Magnaten sicherstellt und daß sie eine Ausdehnung der Kontrolle der internationalen Behörde auf die Leitung der Bergwerke und industriellen Quellen dieses Schlüsselgebietes erreicht"; desgleichen, daß sie "ihre Bemühungen für die wirtschaftliche und politische Organisation Europas verstärkt".

 

Frankreich wollte stärkere Kontrolle des Ruhrgebiets

Diesen Punkten wurde mit der Bildung der deutsch-französischen Montanunion 1951/52 und der föderalistischen Ausrichtung des Bonner Grundgesetzes Rechnung getragen. Noch der dritte Punkt beim Vollzug der deutschen Vereinigung 1989/90, die europäische Einbindung Deutschlands, enthielt eine auffällige Reminiszenz zu den französischen Forderungen von 1948. Die Beteuerungen führender westdeutscher Politiker, die das Ende der Nationalstaaten beschworen, was geradezu diametral den sowjetischen Interessen widersprach, müssen möglicherweise als hintergründige Pflichtübungen und damit als Preis für die französische Zustimmung zur deutschen Vereinigung gedeutet werden. Letzte Klarheit hierüber dürfte aber erst die Einsichtnahme in etwaige Geheimpapiere bringen.


 
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