© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Sachsen-Anhalt: 12,9 Prozent wählten Rechtspartei in den Magdeburger Landtag
Flügelschlagen im Osten
von Dieter Stein

Lange Gesichter bei Politikern und Moderatoren am Wahlabend in Magdeburg. Eine Säule wollte am Monitor überhaupt nicht mehr aufhören zu wachsen: Weit über zehn Prozent kletterte auf den Monitoren ein braungefärbter Balken. Gegen Ende der Wahlnacht lag das Endergebnis einer Partei, die wenige Wochen zuvor kaum jemand kannte, bei 12,9 Prozent.

Auch am Tag danach verschwanden bei den Analysen in den Bonner Parteizentralen die Fragezeichen nicht aus den Gesichtern der Politiker, die in Sachsen-Anhalt derbe Prügel bezogen hatten: Grüne und FDP müssen draußen bleiben, die PDS stagniert, und die CDU wurde um ein Drittel auf das Format einer Kleinpartei von 22 Prozent reduziert. Lediglich die SPD konnte sich – mit Schröders Rückenwind aus Hannover – geringfügig um zwei Prozent verbessern.

In einer Werbekampagne, deren Wucht alle Parteien überraschte, rollten die Klebekolonnen des Münchner Verlegers Frey Sachsen-Anhalt auf. Dorf für Dorf und Stadt für Stadt wurden mit den einfachen, aber einprägsamen schwarz-rot-goldenen Plakaten bepflastert. Der zuletzt unerwartet belebte Wahlkampf sorgte für einen gewaltigen Sprung bei der Wahlbeteiligung. 72 Prozent der Wahlberechtigten gingen an die Urne – 17 Prozent mehr als 1994.

Die DVU mußte jedoch nicht mehr eine Stimmung erzeugen, die ihr zugute kam, sondern sie sahnte nur ab, was an politischer Wut und Unzufriedenheit im Land bereits existierte. Die Wähler in Sachsen-Anhalt, die Protest wählten, empfanden die übrigen Parteien als mitverantwortlich für die Misere in der Region und in Deutschland oder als zu austauschbar. Die DVU mit ihren knalligen Parolen und einfachen Antworten bot sich an, den brodelnden Unmut aufzufangen.

Die Tatsache, daß 13 Prozent der Wähler, darunter 30 Prozent der Wähler unter 30 Jahren, eine Partei auf dem Stimmzettel ankreuzten, deren Kandidaten nicht in Erscheinung traten, deren eigentliches Programm schleierhaft war und im Land nicht präsent ist, unterstreicht, welches politisches Erdbeben sich hinter diesem Erfolg verbirgt. Kaum auszudenken, welche Ergebnisse einer Formation beschert wären, die den Nerv der Menschen ähnlich trifft, bei der es sich aber um eine real existierende Partei handelt.

Die Reaktionen der Bundestags-Parteien auf das Magdeburger Wahlergebnis zeigen Verunsicherung: Nachdem schon der phänomenale Erfolg Schröders bei der Niedersachsen-Wahl (die DVU hatte übrigens in Niedersachsen eine Wahlempfehlung zugunsten des SPD-Kandidaten abgegeben) und seine Nominierung zum Kanzlerkandidaten die Union konzeptionell ins Straucheln gebracht hat, ist die Magdeburger Wahl ein letzter Schuß vor den Bug der Bonner Koalition. Wenige Tage, nachdem die D-Mark in Bundestag und Bundesrat beerdigt wurde, Kohls Lieblings-Ziel, der Euro, durchgesetzt ist – ein Dämpfer durch die geprellten Bürger im Osten. Völlig hilflos fordert so CDU-Generalsekretär Hinze, der mit seiner Tankstellenaktion gegen die Grünen einen lähmenden, wochenlangen innerparteilichen Streit um die ökologische Steuerreform und um die Person Wolfgang Schäuble lostrat, eine CDU-Kampagne gegen Radikalismus im Osten.

Endzeitstimmung nicht nur bei der CDU: Mit roten Ohren mußte Jürgen Trittin den Auszug der Grünen aus dem letzten Landtag des Ostens einräumen. Die Grünen: Zur Partei besserverdienender Westdeutscher degradiert.

Die Münchner CSU sucht Halt beim Geist ihres 1988 verstorbenen Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Dessen Losung lautete: "Rechts von der CSU darf es in Bayern keine Partei geben." Deshalb will die CSU nun "Themen rechts der Mitte" besetzen. Der Magdeburger CDU-Spitzenkandidat Bergner habe einen "eher mittiglinken" Eindruck vermittelt. Stoiber kündigte im Parteivorstand an: "Extremisten müssen in Bayern bis aufs Messer bekämpft werden."

Die politischen Karten sind fünf Monate vor der Bundestagswahl neu gemischt. Konsequenz: Die Parteien sehen sich nun unfreiwillig im Wahlkampf mit harten Themen konfrontiert wie dem Zusammenhang zwischen Einwanderung und Arbeitslosigkeit, Kriminalität und sozialen Mißständen. Das dürfte die Diskussionen beleben und die Wahl spannend machen.


 
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