© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Pankraz, W.v. Humboldt und das Business von Bruchsal

Die deutsche Bildungsreform marschiert. Kommenden Herbst will in Bruchsal die "International University in Germany" den Betrieb aufnehmen. Laut den verschickten Prospekten und bundesweit geschalteten Zeitungsanzeigen wird es "die erste deutsche Universität sein, die sich durchgängig am angelsächsischen Ausbildungssystem orientiert, alle Studiengänge in Englisch durchführt und sich auf das Gebiet der Informationstechnik konzentriert."

"Wenn Sie an der Reform des deutschen Bildungssystems mitarbeiten möchten, dann sollten Sie sich mit uns in Verbindung setzen", locken die Anzeigen. Adressatinnen sind Frau Prof. Dr. Heide Ziegler bzw. Frau Dr. Annette Mechel in der "alten Barockstadt" (Prospekt) Bruchsal. Gesucht werden "Mitarbeiter/-Innen mit perfekter Beherrschung von Englisch in Wort und Schrift". "Schwerbehinderte werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt".

Es wird ausschließlich "Professor/-Innen aus dem Fachgebiet Business Administration und Informatik/Informationstechnik" geben. Die technischen Mitarbeiter/-Innen müssen "Betrieb, Wartung und Weiterentwicklung von PC- und Workstationnetzen sowie Datenbank-Servern" beherrschen, die Verwaltungs-Mitarbeiter/-Innen "mindestens drei Jahre Berufserfahrung in Controlling" haben. Im übrigen wäre dann nur noch etwas "Begeisterung" vonnöten. "Wir brauchen Sie, um unsere Begeisterung zu teilen und an unsere Studenten weiterzugeben", versichern Frau Ziegler und Frau Mechel.

Pankraz wurde nach der Lektüre der Anzeigen ausgesprochen melancholisch. Das Idealbild des reformierten deutschen Bildungsbürgers, das hier am Horizont aufscheint, ist ja auch gar zu eindimensional: Ein schwerbehinderter, perfekt Englisch sprechender Business-Administrator bzw. -Controller weiblichen Geschlechts, der sich nur noch für PC- und Workstationnetze interessiert und mit wilder Begeisterung unentwegt die Datenbänke rauf- und runtersurft. So etwas haben nicht einmal die 68er Bildungsreformer Picht und v. Friedeburg gewollt. Womit haben wir das verdient? Wer hat uns das eingebrockt?

Die Antwort kann bei genauem Nachdenken nur lauten: Die KohlRegierung, Rüttgers und Konsorten haben’s uns eingebrockt. Sie waren wahrhaftig lange genug am Ruder, um die Verheerungen der 68er "Bildungsreform" zu heilen und das Ruder behutsam herumzudrehen, auch wenn man berücksichtigt, daß Bildungspolitik in Deutschland in erster Linie Ländersache ist. Aber sie haben mit Absicht genau das Gegenteil getan.

Der kulturrevolutionäre Impetus, der sich von Anfang an voll gegen die einheimische, humboldtsche Bildungstradition richtete, wurde von ihnen nicht gestoppt, nicht einmal abgeschwächt, sondern noch gewaltig verstärkt. Die Standards wurden weiter abgesenkt, der akademische Massenbetrieb bis ins Aberwitzige vorangetrieben. Und als daraufhin die Effektivität der Universitäten rapide schwand, wuschen sie ihre Hände frech in Unschuld und riefen: "Haltet den Dieb!"

Das Desaster lag nun nicht etwa an der total verpfuschten Bildungspolitik, sondern angeblich an der deutschen Tradition, die von den 68ern noch nicht gründlich genug abgeräumt worden sei. Eine geradezu sklavische Anhimmelung amerikanischer Ausbildungsmethoden setzte ein, ausgerechnet zu einer Zeit, da in Amerika selbst immer mehr Kritiker des eigenen Systems auf den Plan traten, die den Verlust der geistigen Selbständigkeit bei den Studenten in diesem System beklagten und vor dem Zerfall des einst aus Europa übernommenen Bildungskanons warnten.

Zur Zeit gibt es in Bonn keinen einzigen Bildungspolitiker mehr, der auch nur noch wüßte, daß der ungeheure Aufschwung der exakten, effizienzträchtigen Naturwissenschaften im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert ein Kind des deutschen, humboldtschen Bildungssystems gewesen ist. Dabei war es bis in die dreißiger Jahre hinein auch für ehrgeizige amerikanische Studenten ein absolutes "must", wenigstens zwei, drei Semester in Berlin, Göttingen oder Freiburg zu verbringen. Die deutschen Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Vereine galten international als vorbildlich.

Nach dem Krieg setzte ein hektischer Wettlauf der Sieger auf im alten Deutschland ausgebildete Wissenschaftler und ihre Patente ein; faktisch die ganze Raketenindustrie Amerikas (und Rußlands) wurde von solchen Wissenschaftlern und Patentträgern aufgebaut. Die deutschen Universitäten und Forschungsinstitute wurden natürlich geschwächt, doch der Wiederaufbau ließ sich gar nicht so schlecht an, der alte Leistungswille, das alte Elitebewußtsein und die entsprechenden Comments waren noch lebendig. Erst mit Willy Brandt und Helmut Kohl kam der Niedergang.

Wenn heute einige begeisterte, mit Quoten- und PC-Gesinnung abgefüllte Damen in "alten deutschen Barockstädten" eine ausschließlich englischsprachige und am angelsächsischen Ausbildungssystem ausgerichtete "International University in Germany" gründen und allen Ernstes glauben, damit einen entscheidenden Beitrag zur Reform des deutschen Bildungssystems zu leisten, so spricht das Bände. Nicht nur die Idee der alten Humboldt-Universität ist von Bonn verabschiedet worden, sondern die Idee der Universität überhaupt.

Jeder sieht: Die neue "International University in Germany" ist gar keine richtige Universität, sondern – bestenfalls – eine Monoversität, eine business school, auf der man ein bißchen Software-Umgang und einige Tricks fürs Profitmachen lernt. Wirkliche Effizienz, Schaffung eines schöpferischen Klimas für die Wissenschaft, neue Erkenntnisse, Verbesserung des Lebens, wird sich auf diese Weise nicht einstellen. Da mögen die nach Quote und Behinderung sorgfältig ausgewählten Professor/-Innen und Mitarbeiter/-Innen noch so begeistert die Datenbahnen entlangsurfen.


 
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