© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Euro-Gipfel: Paris setzt nationale Interessen durch - Helmut Kohl stimmt zu
Kanzler der Franzosen
von Michael Wiesberg / Albrecht Eichsfelder

Seit dem letzten Wochenende ist das definitive Ende der D-Mark besiegelt. Die "D-Mark-Hegemonie", gegen die insbesondere Frankreich immer wieder Sturm gelaufen ist, wird der Vergangenheit angehören. Dieser Kampf bestimmte bis zuletzt die französischen Interessen. Vor diesem Hintergrund handelte es sich bei der Auseinandersetzung um den ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) auf dem "historischen Sondergipfel" in Brüssel keineswegs um "kleinkariertes Postengeschacher", wie einige Kommentatoren meinten, sondern um eine kardinale politische Frage. Die Deutschen und mit ihnen alle anderen europäischen Delegationen favorisierten den Niederländer Wim Duisenberg, der in Wirtschafts- und Währungsfragen weitgehend auf Bundesbank-Linie liegt. Nun ist Duisenberg zwar gewählt, doch soll er bereits nach vier Jahren, also der Hälfte der vorgesehenen Amtszeit eines EZB-Präsidenten durch den französischen Kandidaten, Jean Claude Trichet, ersetzt werden.

Es spricht Bände, daß die deutschen Sonntagsredner über die wahren Gründe der unnachgiebigen französischen Haltung kein Wort verlieren wollten. Ihre Äußerungen sind daher an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. So bezeichnete Außenminister Klaus Kinkel (FDP) die Euro-Einführung als "Quantensprung in der Entwicklung Europas". Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) zeigte sich überzeugt, daß "die gemeinsame Währung Europa positiv verändern" werde. CDU-Generalsekretär Peter Hintze sprach gar von einem "epochalen Werk".

Dabei wäre Kohls Gewaltmarsch zum Euro um ein Haar noch verzögert worden, denn der Gipfel war von seiten der Deutschen schlecht vorbereitet worden. Die Hauptschuldigen an dem Debakel sehen Beobachter in den Kanzlerberatern für Außenpolitik und für Wirtschaft, Joachim Bitterlich und Sieghard Nehring. Beide hätten den Kanzler gegen den Rest der deutschen Delegation einseitig auf die französische Linie einschwören wollen. Im Außen- und im Wirtschaftsministerium sei man darüber so erbost gewesen, daß beide Kanzleramts-Mitarbeiter zwischenzeitlich den Tagungssaal der deutschen Delegation in Brüssel verlassen mußten.

Chirac gibt sich indes zufrieden: "Auch wenn es um eine europäische Entscheidung geht, gibt es Interessen, die verteidigt werden müssen." Denn: "Wir leben in einem Europa der Nationalstaaten". Für ein Land von der Bedeutung Frankreichs, so der Präsident, sei es normal, in Personalfragen das nationale Interesse zu vertreten. Chirac zu den ratlosen Journalisten: "Sie stimmt das Ergebnis vielleicht traurig, mich stimmt es froh!" Der Präsident kann sich in völliger Übereinstimmung mit seinem Vorgänger Mitterand fühlen. Denn bereits die Motive für die Einführung des Euro hatten nichts mit den angeblichen "Zwängen der Globalisierung" zu tun, mit denen die Bundesregierung die Währungsunion begründet. Die wirklichen Gründe sind vielmehr im Interesse Frankreichs zu suchen, das sich sein Ja zur Wiedervereinigung mit der Abschaffung der D-Mark vergelten läßt. Wie aus einem demnächst erscheinenden historischen Quellenwerk zur Wiedervereinigung Deutschlands (vgl. Zeitgeschichte, S. 17) hervorgeht, hat insbesondere der frühere französische Präsident François Mitterand "massiven Druck" auf die Bundesregierung ausgeübt. Er war der Auffassung, daß die Währungsunion "das probate Mittel" sei, die "bald vereinten 80 Millionen Deutsche unter europäische Kontrolle zu bringen".

Die Wahl des ersten EZB-Präsidenten läßt Schlimmes ahnen. Die französische Presse wußte – im Gegensatz zu den deutschen Medien – diesen Vorgang angemessen zu kommentieren: "Deutschland wird zahlen, sagte man in den zwanziger Jahren. Heute zahlt es: Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg." (Le Figaro, 18. September 1992). Daß diese totale Unterwerfung Deutschlands unter die Interessen Frankreichs im Ausland klarer als hierzulande gesehen wird, zeigt eine Aussage von Frits Bolkestein, Fraktionsvorsitzender der in Den Haag mitregierenden liberalen VVD: "Ich muß feststellen: die Deutschen tun, was die Franzosen wollen. Wenn es hart auf hart geht, bekommen sie weiche Knie und knicken vor den Franzosen ein."


 
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