© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Kulturpolitik: Der Präsident des Goethe-Instituts warnt vor weiteren Einsparungen
"Dann würde ich zurücktreten"
von Peter Krause

 

Herr Professor Hoffmann, Sie sind seit fünf Jahren Präsident des Goethe-Instituts mit 41 Zweigstellen in 76 Ländern. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

HOFFMANN: Enttäuschung und Zufriedenheit halten sich die Waage. Wir haben eine Reihe neuer Institute eröffnet, mußten aber weit mehr schließen. Seit 1995 haben wir 18 Institute geschlossen und nur sechs neue eröffnet: Johannesburg, Hanoi, Taschkent, Vilnius, Tallinn, Ramallah. Und das steht in keiner gesunden Relation.

 

Das Goethe-Institut hat einen jährlichen Etat von 330 Millionen Mark, davon kommen 300 Millionen vom Bund. Wie inhaltlich unabhängig sind Sie angesichts dieser Finanzierung?

HOFFMANN: Inhaltlich sind wir vollkommen unabhängig. Uns ist die Autonomie der Programmgestaltung im Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt von 1976 garantiert. Wir sind zwar Auftragnehmer der Bundesregierung, haben aber gleichwohl den Status eines eingetragenen Vereins. Es hat zu meiner Zeit keine Versuche gegeben, in unsere Inhalte einzugreifen.

 

1996 sind fünf Institute geschlossen worden, zum ersten April 1998 weitere acht Institute. Ist das der offene Rückzug der kulturellen Außenpolitik Deutschlands?

HOFFMANN: Nein, wie alle Bonner Ministerien müssen auch die Mittlerorganisationen jährlich 1,5 Prozent Personal einsparen. Aber weitere Schließungen sind mit mir nicht mehr zu machen. Ich würde dann als Präsident zurücktreten. Das weiß der Bundeskanzler, das wissen Außen- und Finanzminister.

 

Wie geht es weiter? Hilft die Industrie?

HOFFMANN: Wir haben Kontakte zur Wirtschaft geknüpft. Auf diesem Wege können aber die einschneidenden Streichungen nicht ausgeglichen werden. 30 Millionen wurden von 1992 auf 1993 allein im Etatbereich "Programme" des Goethe-Instituts gestrichen. Diesen Verlust können wir mit den höchstens zehn Prozent durch Sponsoren nicht ausgleichen – und Personalkürzungen schon gar nicht. Mit unserem Moratorium fordern wir zwei Jahre Ruhe, zwei Jahre ohne Personalkürzungen und also Pause in der Schließungsorgie, um unser Institutsnetz neu zu strukturieren.

 

Ein Wort von Theodor Heuß besagt, mit Politik könne man keine Kultur, mit Kultur aber Politik machen. Das wird gern zitiert, aber kaum ernstgenommen. Weder unter der Regierung Schmidt noch unter Kohl genoß bzw. genießt die Kulturpolitik einen besonderen Stellenwert. Woher diese Vernachlässigung?

HOFFMANN: Wir müssen da unterscheiden zwischen der Bonner Kulturpolitik und der Kulturpolitik der Länder und Städte. Und gerade in den Kommunen hat es bis Anfang der neunziger Jahre relativ gut ausgesehen, Kultur hatte Konjunktur. Frankfurt hatte zu meiner Zeit mit 11 Prozent den höchsten prozentualen Kulturhaushalt deutscher Städte, das war fast eine halbe Milliarde.

 

Aber die Kommunen sind heute hoch verschuldet. Wie sieht die Kulturpolitik der Zukunft aus – ohne Geld?

HOFFMANN: Wir müssen auch in der Kultur sparen, aber der prozentuale Anteil muß erhalten bleiben. Es kann nicht sein, daß an der Kultur unverhältnismäßig gespart wird.

 

Ich möchte noch einmal auf die Kulturpolitik der Bundesregierung zurückkommen…

HOFFMANN: Das ist ja bei uns so geregelt, daß die Kulturhoheit bei den Ländern liegt. Es gibt zum Glück kein Bundeskulturministerium, wie das jetzt von Peter Glotz oder Antje Vollmer gefordert wird. Das ist nicht nur Unsinn, sondern auch Geldverschwendung. Nach den bitteren Erfahrungen im NS-Staat haben die Väter des Grundgesetzes die Kultur mit Recht aus der Bundeskompetenz herausgenommen, um Einflüsse und Bevormundung von oben zu verhindern. Wie fruchtbar der Länderwettbewerb sein kann, sehen Sie bei der Medienpolitik: Da haben sich Bayern und Nordrhein-Westfalen mit jeweils 30 Millionen für Filmförderung gegenseitig hochgeschaukelt. Regionale Konkurrenz ist hier eine kreative Ressource.

 

Brächte ein Bundeskulturministerium nicht die Bündelung nationaler Kulturpolitik?

HOFFMANN: Nein. Da brauchen Sie neben dem Minister den ganzen bürokratischen Apparat von Staatssekretären bis zum Chauffeur. Und man braucht einen Milliarden-Etat. Für die gesamte auswärtige Kulturpolitik werden jährlich 3,5 Milliarden Mark ausgegeben, davon bekommt das Außenministerium aber nur ein Drittel. Die restlichen zwei Drittel werden auf neun Ministerien aufgeteilt. Ein eigenes Kulturministerium würde die Verteilung nicht besser machen, nur neue Kosten verursachen. Und die im Grundgesetz verankerte förderale Kulturpolitik darf ohnehin nicht angetastet werden.

 

Deutsch als internationale Wissenschaftssprache ist verdrängt, als Sprache der Politik in der EU kann es sich nicht durchsetzen. Aber die deutsche Kulturpolitik wehrt sich gegen diese Zurückdrängung deutscher Kultur und Sprache nicht. Woher rührt diese Ängstlichkeit?

HOFFMANN: Die Bundesregierung hat sich in den ersten 30 Jahren nach dem Krieg zurückgehalten, um nicht wieder den Eindruck zu erwecken, als erhöben die Deutschen die Hegemonieansprüche. Aber ich finde, nach einem halben Jahrhundert wäre es zumindest an der Zeit, Deutsch als offiziell anerkannte Sprache in Brüssel entsprechend zu würdigen. Aber das Goethe-Institut hat mit dieser Defensive nichts zu tun, im Gegenteil: unsere Sprachkurse im Ausland haben reichlich Absolventen.

 

Ist die Anzahl der Ausländer außerhalb Deutschlands zurückgegangen, die Deutsch lernen?

HOFFMANN: Es gab einen vorübergehenden Rückgang, als es hier vor einigen Jahren die Welle von Brandanschlägen auf Ausländer gab. Da sind weniger Interessenten aus Asien und Afrika nach Deutschland gekommen.

 

Sie werden mit dem Begriff einer "erweiterten Kultur", einer "alternativen Kultur" in Verbindung gebracht. Wenn man sich aber nach Jahren dieser Kulturpolitik deutsche Literatur, Theater, Film ansieht, ist da nicht weithin nur Mittelmaß gewachsen?

HOFFMANN: Was ich unter erweiterter Kultur verstanden wissen wollte, das war die nichtinstitutionalisierte Kultur: die freie Szene, jedenfalls deren professioneller Teil.

 

Was aber ist davon geblieben? Welche Auswirkungen hat eine Förderung ohne Qualitätsanforderungen auf das Bleibende?

HOFFMANN: Wir können uns natürlich nach wie vor auf unsere Klassiker besinnen, sofern wir, um Adorno zu zitieren, darin das heute noch Gültige erkennen. Literarische Traditionen sind auch Teil des Sprachunterrichts im Goethe-Institut. Was die freie Szene betrifft, so hatten wir damals in Frankfurt eine gewisse Professionalität vorausgesetzt. Die Gruppen mußten zwei Jahre ihre Existenzberechtigung vorweisen, ehe sie gefördert wurden. Das Projekt "Kultur für alle" ist nicht gescheitert, wenn wir darunter verstehen, kulturelles Verstehen zu fördern. Oder um mit Brecht zu reden: Aus dem kleinen Kreis der Kenner einen großen Kreis der Kenner zu machen. Wir müssen auf die ästhetische Erziehung und die musische Bildung der Schüler wieder mehr Wert legen. Das ist wichtig für die Sozialisation. Sonst sind die jungen Menschen für die Kultur verloren – und sie schaden damit am meisten sich selbst, weil sie sich um berufliche Chancen bringen.

 

Sie haben 1988 die Stiftung Lesen mitgegründet, waren deren Geschäftsführer, sind jetzt Vorsitzender. Wie erklären Sie sich den Rückgang an Lesefähigkeit bei den Deutschen?

HOFFMANN: Als wir damals die Zahlen hörten von vier Millionen sekundären Analphabeten in Deutschland, also Menschen, die Lesen und Schreiben wieder verlernt haben, haben wir die Stiftung Lesen gegründet, die sich im übrigen aus Sponsorengeldern finanziert. Aber die Stiftung ist nur eine Reparaturwerkstatt. Das Problem beginnt in der Schule. Wir brauchen beispielsweise mehr Bibliotheken, um die Schüler zum Lesen zu animieren. Gegenwärtig geht die Entwicklung eher in die andere Richung. Aber der Zusammenhang von Bildung und sozialer Stellung, beruflicher Entwicklung ist offenkundig.

 

Wie sehen Sie die Zukunft der nationalen europäischen Kulturen in einem politisch vereinigten Europa?

HOFFMANN: Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn die europäische Kultur lebte immer schon vom Austausch und der gegenseitigen Befruchtung. Gerade heute, im Zeitalter der Globalisierung, ist Abschottung nicht mehr möglich. Wir empfangen ja nicht nur über das Fernsehen ständig andere kulturelle Einflüsse, wenn auch leider vor allem amerikanische. Demarkationslinien kann man heute nicht mehr ziehen. Und das ist gut so. Die politische Vereinigung Europas vollzieht nur nach, was in der Kultur schon lange eingesetzt hat.

 

Einen kulturellen Verlust sehen Sie nicht?

HOFFMANN: Wir halten unseren Goethe schon noch hoch – auch ins nächste Jahrhundert.

 

 

Prof. Hilmar Hoffmann

wurde 1925 in Bremen geboren. Als Fallschirmjäger geriet er 1944 in amerikanische Gefangenschaft, aus der er 1947 zurückkehrte. Er studierte Regie an der Folkwang-Hochschule für Musik und Theater in Essen-Werden. 1950 gründete Hoffmann in Oberhausen das Studio "das zeitgenössische schauspiel", das er bis 1965 leitete. In der selben Zeit war er Direktor der Volkshochschule Oberhausen. 1953 rief er die Internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen ins Leben, die er bis 1970 leitete. 1965 bis 1970 war Hoffmann Kulturdezernent der Stadt Oberhausen. Von 1970 bis 1990 gehörte er als Stadtrat dem Magistrat der Stadt Frankfurt am Main an und war in dieser Zeit Dezernent für Kultur und Freizeit. Als Lehrbeauftragter unterrichtete er u. a. an den Universitäten Bochum und Frankfurt am Main. Hoffmann ist Mitglied der SPD; er blieb auch unter der CDU-Stadtregierung als Frankfurter Kulturdezernent im Amt. Seit 1993 ist er Präsident des Goethe-Instituts.


 
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