© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Wahlkampf: Wie Helmut Kohl wieder einmal bis zum Herbst die Kurve kriegen könnte
Auf die SPD ist Verlaß
von Hans-Georg Münster

Die Genialität, schrieb der 1788 gestorbene französische Naturforscher Buffon, sei nichts anderes als die Fähigkeit zur Geduld. Sollte der Franzose recht gehabt haben, sitzt im Bonner Kanzleramt ein Genie. Denn der oft als Aussitzer getadelte Helmut Kohl hat sich eine Strategie für die Bundestagswahl zurechtgelegt, die aufgehen könnte. Und angesichts der sozialdemokratischen Liebkosungen für die PDS in Magdeburg entwickelt Kohl Gefühle wie der Normalbürger, der einen Sechser im Lotto hat.

Natürlich glaubt in der Union nach Diskussionen um den Kanzlerkandidaten, Hauskrach und Wahlniederlage von Sachsen-Anhalt niemand mehr an den Wahlerfolg im Herbst – nur Kohl selbst. Schon am 9. Januar hat er einer staunenden Öffentlichkeit verkündet: "Egal wer sozialdemokratischer Kanzlerkandidat wird: Ich habe die Absicht, ihn zu schlagen." Kohls Kalkül ist einfach: Er will auf der Welle eines selbsttragenden Wirtschaftsaufschwunges schwimmen. Die Rechnung ging bisher auf: Anfang Mai meldete die Bundesanstalt für Arbeit einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen um 200.000. Vor wenigen Tagen legten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihr Frühjahrsgutachten vor, in dem eine Beschleunigung des Wachstums vorhergesagt wird.

In Bonn setzte derweil das Trommelfeuer des Optimismus ein: "Ich bleibe dabei. Bis zum Sommer haben wir 500.000 Arbeitslose weniger", meldete sich Forschungsminister und Kohl-Liebling Jürgen Rüttgers. "Unser Aufschwung kommt", hieß es vom Berufsjubler Peter Hintze. Kohl selbst drückte sich vorsichtiger aus und meinte nur, seine Reformpolitik trage Früchte.

Die SPD hat dem farbenfrohen Gemälde des Aufschwungs und der Zuversicht wenig entgegenzusetzen. Glanzvoll und im Stile einer Hollywood-Inszenierung waren Schröder und Lafontaine in Leipzig gestartet. Niemand könne den Niedersachsen noch aufhalten, hieß es in vielen Kommentaren. Jetzt haben die roten Hollywood-Stars auf der Bonner Bühne die Rolle der Sauertöpfigen zu spielen. Das "bedrückendste Ergebnis" sei es für ihn, daß der Aufschwung Ost nicht vorankomme, knirschte Lafontaine zur Bonner Optimismus-Kampagne.

Doch Schwarzmalerei wollen die Leute nicht mehr sehen. Wie ertrinkende greifen die Bürger nach dem letzten Strohalm, den ihnen der Kanzler der Einheit hinhält: Kohl schafft mehr Arbeitsplätze, Kohl holt mit einer neuen Regierungsagentur "Invest in Germany" ausländische Firmen nach Deutschland, und Kohl sorgt für einen jahrelangen Aufschwung. Und am Wegesrand stehen die Nörgler Lafontaine und Schröder und merken gar nicht, daß der Kanzler mit exakt diesem Modell vor vier Jahren auch die Mehrheit gewann.

Zur weiteren Strategie gehört, daß der deutsch-französische Krach um den Präsidenten der Euro-Zentralbank und dessen Amtszeit bald vergessen sein wird. Kohl wird das auszunutzen wissen: Nur mit ihm als Kanzler, so heißt es, sei die Stabilität des Euro in der schwierigen Einführungsphase zu garantieren. Die sinkende Arbeitslosigkeit führt dazu, daß die Steuereinnahmen steigen und die Sozialausgaben zurückgehen. Kohls Finanzchef Theo Waigel wird im Sommer einen Haushalt mit der niedrigsten Netto-Kreditaufnahme seit Jahren vorlegen, der ausgerechnet drei Wochen vor der Wahl im Bundestag debattiert wird. Das ist alles kein Zufall.

Und nach dem Nicht-Zustandekommen einer Großen Koalition in Sachsen-Anhalt soll den Wählern in Westdeutschland klargemacht werden, daß nur mit Kohl eine Einflußnahme der SED-Nachfolgepartei PDS in Bonn und Berlin verhindert werden kann. Höppners Aussage, die PDS sei eine "verfassungstreue Partei", ist für den Kanzler ein Geschenk des Himmels. Der westdeutsche Durchschnittswähler weiß zwar inzwischen, daß die Wege des Kommunismus nicht mehr nach Moskau führen, aber zum CDU-Stimmenfang taugen die dunkelroten PDS-Gespenster immer noch.

Da war das Problem des Erfolgs rechter Parteien. Die Lösung war einfach. Kohl ließ durch seinen zahm gewordenen Thronfolger Wolfgang Schäuble das Wahlprogramm in den "rechten" Bereichen verschärfen. Kriminelle Ausländer sollen jetzt noch schneller abgeschoben werden, Verurteilte länger sitzen, und kriminelle Kinder sollen schneller ins Heim. So schnell und so einfach ist das.


 
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