© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Spielverderber: Wie der Osten die Republik verändern könnte
Wandel durch Weigerung
von Peter Krause

Einige Wochen nach der Sachsen-Anhalt-Wahl ist der "Schock" über das ungewöhnliche Ergebnis der Extreme gewichen, die Nervosität jedoch ist gewachsen. Das deutsche Parteiensystem wird nach der nächsten Bundestagswahl vermutlich unübersichtlicher, undurchschaubarer, weniger konsensfähig sein. Und die nachhaltige Irritation könnte von den neuen Bundesländern ausgehen.

Leichthin geredet wurde 1990 von der neuen Republik: sozialer, protestantischer, souveräner, östlicher werde das Land aussehen. So ernst aber war das nicht gemeint. Die Parteistrategen im Westen haben allen Grund, zornig zu sein. Acht Jahre nach der Einheit verweigern die neuen Mitspieler immer offener die Regeln. Die Apologeten des Bestehenden verlieren da schon mal die Contenance. Man mag es nicht, wenn generös Beschenkte sich der glatten Wachstumsideologie entziehen, der liberalen Geschichsphilosophie verweigern, wenn gar die Gegenrechnung der Transferleistungen aufgemacht wird.

Der Aufschwung im Osten kommt trotz allen Plakaten nicht, es gibt kaum Ansätze dazu. Vor allem: Die liberalen Vorstellungen, wie die wirtschaftliche Misere zu beseitigen seien, verlangen einen neuen Menschentyp: anpassungsfähig, mobil, ohne Bodenständigkeit, lenkbar, auswechselbar. Er hat an die Kritik zu glauben, aber nicht zu widersprechen. Er hat zu kommunizieren, aber nichts zu sagen –. Und das nennt sich "moderne Zivilgesellschaft". Der übernommene DDR-Mensch widerspricht diesem Ideal so ziemlich. Er wirkt proletarisch, ist ungelenk, nicht sehr pflegeleicht. Und er wählt nicht so, wie es eine bewährte Parteienstruktur vorgibt. In der Mentalität ist der Unterschied zum Ruhrpott zwar nicht groß, und die Probleme werden ohnehin ähnlicher. Im Osten aber zeigt man sich weniger eingelullt und angepaßt, kurz: unfestgelegter.

Mit der Entschleierung des Westens wuchs im Osten ein Ressentiment, daß die SED in vierzig Jahren nicht annähernd hatte aufbauen können. Und was hatte sich andererseits der Westen eingebildet? Daß man Politiker, die jahrelang mit Honecker gekungelt hatten, nun als viri boni begrüßt. Daß man diejenigen, die die Transitkontrolle nur mit Angstschweiß passieren konnten, als mutige Künder der Zukunft begrüßt, daß man die westlichen Werte, den subtilen Gehorsam sofort übernimmt und als Freiheit feiert? Hatte man geglaubt, daß sich der "Ossi" einem als Individualisierung bejubelten Kult der Gerissenheit unterwirft? Daß er die – euphemistisch Modernisierung genannte – Kapitulation des Gesellschaftlichen vor der ökonomischen Faktizität bieder hinnimmt?

Es hat sich ein ebenso offenes wie verborgenes Widerstandsbewußtsein herausgebildet, an dem sich das westdeutsche Tribunat die Zähne ausbeißen könnte. Denn es entstammt nicht der übersättigten bürgerlichen Langeweile, sondern dem Leben in der Diktatur. Die politische Klasse wird darauf bedacht sein, den Funken des Unkontrollierbaren, Undressierten nicht überspringen zu lassen.

Das Parteiensystem ist in Unordnung geraten, zumindest wenn man die Konsensgesellschaft als normal ansieht. Aber diese Ordnung gedieh ohne außenpolitische Verantwortung, funktionierte in der Prosperität. Und mittlerweile eilt die ideologisierte Politik der Ökonomie hinterher. Im Osten wählt man jedoch ungern ein weltanschauliches Paket; und von vererbter Stammwählerschaft kann keine Rede sein. Die Landesparlamente nähern sich vielleicht deshalb der demokratischen Normalität als Agonalität: Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten, Bürgerliche, Rechte. Die institutionalisierten Liberalen werden im Zeitalter des Liberalismus kaum vermißt; die Grünen sind überflüssig, weil die PDS das linke Geschäft besser betreibt. Es fehlen sofern die Parteien des gesättigten Bürgertums.

Alle Parteien, auch die großen, sind gezwungen, sich vor ihren Wählern regional eigenständig und selbstbewußt zu geben. Die CDU freilich kann die Rechte immer weniger bändigen. Hat sie ihre Chance vertan? In Gebieten, die weitgehend säkularisiert sind, konnte sie nur als wertkonservative und nationale Partei Punkte sammeln. Eben das hat ihr im einstmals roten Mitteldeutschland sehr untypische Wähler zugetrieben. Beide Flügel aber, der nationalkonservative wie soziale, sind gestutzt. Die Ost-CDU entbehrt ihrer mentalen Basis. Sie hat den Rand freigemacht – und nun die üble DVU zur Seite.

Man sollte nicht zu große Erwartungen haben, aber es scheint so, als werde die Politik im Osten zuerst von der Realität eingeholt.


 
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