© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Deutscher Nationalpreis: Der Liedermacher Wolf Biermann wurde ausgezeichnet
Für ein Säckchen Vaterlandsliebe
von Thorsten Thaler

Im Laufrad des Lebens hat Wolf Biermann schon viele Runden gedreht, mal selbstbestimmt in die eine Richtung, mal unfreiwillig in die andere. Eingebettet – besser noch: verstrickt – in die deutschen Zeitläufte der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, hat sich der heute 61jährige Liedermacher und sprachmächtige Wort-Akrobat bei allen Richtungswechseln freilich nicht das Rückgrat verbiegen lassen. Getreu seinem zum geflügelten Satz gewordenen Lebensmotto: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.

Und treu blieb sich Biermann auch am vergangenen Sonntag bei der Verleihung des mit insgesamt 150.000 Mark dotierten Nationalpreises 1998, gestifttet von der Deutschen Nationalstiftung (siehe Kasten). Je 25.000 Mark dieser Summe gingen als Stipendium an den Schriftsteller Jürgen Fuchs und den Liedermacher Ekkehard Maaß, die beide von dem diesjährigen Preisträger vorgeschlagen wurden.

Biermann selbst bedankte sich für diesen "Batzen Geld und zudem steuerfrei" auf seine Weise: "Armes reiches Deutschland! Was sind das für Zeiten, in denen für ein bißchen Zivilcourage schon Preise ausgesetzt werden." Den für seinen Beitrag zum Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin verliehenen Preis bezeichnete Biermann als "Lohn für zwei Pfund Bürgertugend und ein Säckchen deutsch-deutsche Vaterlandsliebe und für das bißchen Drachentöterei in der DDR".

Zuvor hatte der sächsische Staatsminister Arnold Vaatz in seiner Laudatio die Frage aufgeworfen, warum Biermann zu einer "so nachhaltigen Erschütterung des DDR-Systems wurde". Viele Menschen hätten resigniert, sich untergeordnet und angepaßt oder seien an dem "Mißbrauch von Jugend und Hoffnung, von Erinnerung und Angst, von Lebenszeit und Talenten" zerbrochen. Nicht aber Wolf Biermann. "Er trieb fröhlich dicke Kupfernägel in die Wurzeln der Bäume, unter denen die Freiheit lebendig begraben lag – und half wie kein anderer, die Freiheit zu befreien", sagte Vaatz.

"In Biermann tobten die Geister, die darauf drangen, in Menschen zu fahren. Sie schnellten oder trippelten ihm von den Saiten seiner Gitarre und züngelten aus einer Stimme. Sie setzten mit Spott und Häme, mit Witz und Brutalität, mit Ernst und Zärtlichkeit den Parteitagsmaterialien, Versammlungsliturgien und Jubelaufmärschen maßgeschneiderte Narrenkappen auf", erläuterte Vaatz die Wirkungsmächtigkeit des Barden.

Die Ausweisung Biermanns 1976 sei ein "Schlüsselereignis für die Zukunft Deutschlands" gewesen. Dieses sei in Ostdeutschland eher verstanden, aber verschwiegen, in Westdeutschland hingegen zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht verstanden worden. Deshalb litten die Menschen in der ehemaligen DDR, wenn Westdeutsche heute so tun, als wären sie dabeigewesen. An die Adresse dieser Westdeutschen gerichtet sagte Vaatz: "Sie sollen nicht sagen: ‘Ihr habt im Osten unter einer fürchterlichen Diktatur gelitten.’ Sie sollen nicht sagen: ‘Ich Westdeutscher weiß nicht, wie ich gehandelt hätte, wenn…’ Sie sollen nicht sagen: ‘Aber so schlecht kann es euch doch nicht gegangen sein.’ Sie sollen einmal im Leben ihr Turbomundwerk abstellen und schweigen. Einmal nichts sagen zu Dingen, von denen sie nichts verstehen."

Daß Wolf Biermann, dessen Lieder bereits ab 1965 in der DDR verboten waren, relativ frei beweglich dort leben konnte, sei dem Umstand geschuldet, daß ein Schlag gegen ihn Lärm verhießen hätte. "Gewisse Ruhestörungen" seien aber "durch alle Ritzen" in die DDR gedrungen. Das Land sei im Begriff gewesen, wachgeküßt zu werden, sagte Vaatz. Nach Biermanns Ausbürgerung habe die Staatsmacht um sich geschlagen, "wie ein wacher Schläfer nach dem Summen einer Mücke". Vaatz: "Hinter martialischen Worten verbarg das System seine Hilflosigkeit vor dem freien Wort. Der Kampf um die Herzen der Menschen war von nun an für diesen Staat nicht mehr zu gewinnen. Zuerst unmerklich, dann schneller und schließlich im rasenden Galopp wandten sich die Menschen von der DDR ab."

In seiner Dankesrede sagte Biermann über den Wendeherbst: "Als vor neun Jahren die Mauer fiel, freute ich mich, und ich verachte die Ostalgiker, die der guten alten schlechten Zeit nachtrauern. Ich halte sie für Heuchler und Plattköpfe. Political incorrect war ich im Streit um die Wiedervereinigung vielleicht, aber feige nicht. Immerhin verpaßte ich meinen haßgeliebten Schlechterossis in der Nachwendezeit ein paar lästige Wahrheiten, während allerhand Besserwessis ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprachen."

Da war er wieder, dieser selbstgewisse Tonfall des personifizierten Gewissens deutscher Gleichgültigkeit, geboren aus einem lodernden Feuer des Herzens, das Biermann zeitlebens beim Schreiben seiner polemischen Essays, Gedichte und Lieder verspürte.

Auf seiner letzten CD "Süßen Leben – saures Leben" textete Biermann, inspiriert von Samuel Beckett: "Ewig machen, ewig scheitern / Macht nix, Alter! mach so weiter / werde älter, klüger, kesser / Vorwärts! hoope-hoppe Reiter/ Mach, mach, mach, mach und scheiter / aber scheiter immer besser!" Und in einem Interview mit dem österreichen NachrichtenmagagzinProfil berief er sich im Augst 1996 auf den italienischen Kulturphilosophen Antonio Gramsci und dessen Dialektik zwischen dem Pessimismus der Intelligenz und dem Optimismus der Tat: Immer mit dem Schlimmsten rechnen und das Beste tatkräftig anstreben. Eine Lebenshaltung, die Wolf Biermann immer wieder aufs neue kultiviert.


 
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