© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Thomas & Dieter
von Tilmar Berger

Wir Deutschen machen uns oft schlechter als wir sind. Modern Talking war nach Beethoven doch endlich mal wieder Musik aus Deutschland, die die Welt aufhorchen ließ. Doch die Kritik überschüttete die beiden Sänger Thomas Anders und Dieter Bohlen mit Häme. Thomas, der stets mit glockenheller, engelsgleicher Stimme singt, nannte eine Zeitschrift eine "höhensonnengegerbte Sangesschwuchtel". Das reichte, um ihn mit Nora nach Los Angeles fliehen zu lassen. "Nora", wir erinnern uns, war die holde Maid, deren Namen in güldenen Lettern an einem Kettchen um Thomas Anders’ Hals glänzte.

Und jetzt das Wunder: zuerst löste Dieter auf resolute Art und Weise seine Beziehungsprobleme, dann schaffte auch Thomas die Emanzipation. Nach Ewigkeiten fand das alte Paar wieder zueinander. Die Hits aus vergangenen Zeiten wurden neu aufgenommen, und flugs war man wieder auf Platz 1. Damit hatte niemand gerechnet, am allerwenigsten Verona Feldbusch, Dieters Anti-Hausfrau und TV-Moderatorin, die wie vor den Kopf gestoßen gewesen sein soll.

Jetzt ist jeder aufgefordert, wachsam zu sein. Die alten Fehler dürfen sich nicht wiederholen! Zwar ist unbestritten, daß Thomas & Dieter im gemeinen Volk recht beliebt sind, doch begegnet ihnen vor allem die Intelligenz nach wie vor mit Verachtung.

Warum eigentlich? Es mag ja sein, daß die Texte von Wolf Biermann oder Wave-Gruppen etwas niveauvoller sind als die von "Cheri Cheri Lady" oder "Brother Louie". Aber ist das nicht die völlig falsche Kategorie? Stehen wir nicht alle regelmäßig abgekämpft im Feierabend-Stau und suchen im Radio nach netten Melodien, nach Hits ohne jeden Sinn? Warum müssen es dann immer Gruppen wie die Spice Girls sein, über die die Produzentenlegende Phil Spector neulich sagte, es gebe einen großen Unteschied zwischen dem Betrachten von ihnen und dem eines Pornos: beim Porno sei die Musik besser.

Beim Entwurf von durchgestylten Kunstprodukten liegen andere vorne. Wir müssen mit unseren Pfunden wuchern. Gut, Thomas Anders macht nun mal den Eindruck eines etwas gealtertern Camping-Animateurs, und Dieter Bohlen weist sich in Interviews nicht gerade als sozialkritischer Intellektueller aus, aber ist das so schlimm?

Der deutsche Michel ist zwar keine Schönheit, aber perfekte Popmusik machen, das kann er.


 
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