© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Grüner Opportunismus
von Werner Olles

Es gab eine Zeit, in der die Grünen für viele Menschen eine echte Alternative zu den damals bereits verbrauchten und korrumpierten etablierten Parteien darstellten. Manchen Bürgern galten sie gar als einzige ernstzunehmende politische Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit. Diese Ära scheint an ihr Ende zu gelangen. Epochale Veränderungen haben die Grünen – dort wo sie gemeinsam mit der Sozialdemokratie regier(t)en – nirgendwo durchgesetzt, sieht man von der schamlosen Begünstigung ihrer eigenen Klientel ab, was unter dem Oberbegriff "grüne Vettern- und Cousinenwirtschaft" an die Eskapaden und Skandale der Alt-Parteien erinnert.

Jetzt hatte man sich so ein schönes Parteiprogramm auf den Leib geschneidert, doch die Deutschen – seit langem eher auf den ADAC als auf Bündnis90/Die Grünen bauend – bekamen bei Forderungen wie "Fünf Mark pro Liter Benzin" eine Gänsehaut. Ganz aus war es, als die fremdenverkehrspolitische Sprecherin der Partei Urlaubsreisen per Flugzeug aus ökologischen Gründen nur noch alle paar Jahre gestatten wollte. Geht es ums Auto oder die Freizeit, dann hört hierzulande der Spaß schlagartig auf.

In der Tat waren jedoch gerade dies wohl die vernünftigsten Forderungen, welche die Grünen erhoben hatten, seit sie sich von ihrem wertkonservativen Flügel im Streit trennten. Gewiß hätte man dies den Bürgern etwas anderes vermitteln müssen, der erhobene Zeigefinger provoziert immer Widerspruch, Mißachtung und schließlich Liebesentzug; aber daß die Abstrafung auf dem Fuße folgen würde und auch noch derart hart ausfiel, damit hatte die bis dahin recht verwöhnte Partei keinesfalls gerechnet. So war das Desaster in Sachsen-Anhalt wohl der eigentliche Grund für grünes In-sich-gehen. Das Ergebnis ist allerdings mehr als peinlich. Die Zurücknahme der ökologisch durchaus vertretbaren Forderungen geriet zu einem merkwürdigen Schauspiel aus Verrenkungen, Verkrampftheiten und unglaubwürdigen "War ja alles nicht so gemeint"-Beteuerungen. Dem opportunistischen Schlenker haftet von Genialität und Strategeie so gar nichts, von Angst und Aufgeregtheit dafür umso mehr an.

Der thüringische CDU-Fraktionsvorsitzende Köckert hat die Grünen unlängst "Repräsentanten der wohlhabenden Linken" genannt. Sie seien eine "Wohlstandspartei", die nur für "Wohlstandszeiten" tauge. Da ist viel Wahres dran, und dies erklärt auch sehr genau, warum die Grünen in Mitteldeutschland von Anfang an marginalisiert waren. Da auch in den alten Bundesländern in den kommenden Jahren kaum mit Wohlstandsfortschritten zu rechnen ist, sieht es für die Grünen nicht allzu gut aus. Die Sozialdemokratie wird sich ihrer souverän zu entledigen wissen!


 
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