© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Kulturkritik: Der Philosoph Peter Koslowski
"Das Postmoderne ist konservativ"
von Peter Krause

 

Herr Professor Koslowski, der Begriff der Moderne ist mit Subjektivität, Rationalität, Verwissenschaftlichung verbunden. Ist diese Moderne an ihr geschichtliches Ende gekommen?

KOSLOWSKI: Man muß unterscheiden zwischen Moderne als Epoche und Ideologie sowie dem Modernen im Sinne des Zeitgemäßen und Neuen. Das Moderne wird es immer geben, die Moderne nicht. Die These, daß es nur eine Moderne in der Geschichte der Menschheit gebe, die in der Vollendung der Rationalität und Subjektivität ihren Ausdruck finde, ist unbegründet. Zwar bleibt jeder Mensch an Vernünftigkeit gebunden, insofern ist die Rede vom Tod des Subjektes nicht spezifisch genug. Bei der Moderne kommt jedoch der Anspruch hinzu, alle traditionalen Bestände völlig in eine diskursive Rationalität überführen zu können. Und dieses Projekt geht seinem Ende entgegen. Kurz: Die Radikalisierung der Subjektivität gerät in die Krise, nicht aber die Sicherheit, daß jeder Mensch ein Subjekt ist und ein Individuum.

 

Sie gehören zu den Verteidigern einer postmodernen Kultur. Worin könnten die Möglichkeiten einer solchen Kultur bestehen?

KOSLOWSKI: Die Möglichkeiten nachmodernen Denkens und nachmoderner Kultur – postmodern heißt ja nicht antimodern – könnten darin bestehen, einerseits unverzichtbare Errungenschaften der Moderne beizubehalten: so den Bezug auf individuelle Freiheit und Personalität. Andererseits ist es befreiend, daß die hypotrophen Formen der Moderne jetzt in die Kritik kommen: der Atheismus und der Autonomiegedanke etwa. Die Verabsolutierung der Vernunftautonomie hatte eine antireligiöse Spitze, die nun wegbricht. Es wird sichtbar, daß die moderne Subjektivität, wie wir sie aus Aufklärung und Idealismus kennen, gar keinen Vollbegriff von Personalität bietet, da sie immer nur die Dialektik von Subjekt und Objekt bedenkt. Die Nachmoderne könnte eine Besinnung auf umfassende Personalität bringen.

 

Sie haben ein "neues kulturelles Bewußtsein" gefordert. Was meinen Sie damit?

KOSLOWSKI: Ich verstehe darunter nichts anderes als die Einsicht, daß in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, die eine Dienstleistungs- und Erlebnisgesellschaft und damit eine Kulturgesellschaft ist, die kulturellen und symbolischen Bereiche wichtiger werden als die technologischen, produktionsorientierten. Der kulturelle Zusatznutzen von Waren nimmt im Verhältnis zum materiellen Wert stark zu. Auch die Konflikte und Dissense des gesellschaftlichen Lebens werden immer deutlicher im Kulturellen ausgetragen.

 

Woher gewinnt eine postmoderne Kultur, die sich nicht mehr auf die Selbstgewißheit des Subjektes oder den Konsens des idealen Diskurses stützen kann, ihre Identität, ihr Selbstbild?

KOSLOWSKI: Mit der Identität einer Kultur war es immer ein Problem. Es war ein Fehler der Moderne zu glauben, auf der Basis der autonomen Vernunft ließe sich eine kulturelle Identität schaffen. Das wurde der Vielheit der Identitäten nicht gerecht. Es gab zwar immer einen Geist einer Epoche oder einer Nation, aber es gab immer auch die abweichende Meinung, die Kritik, die Häresie. Das Identitätskonzept ist in bezug auf Kollektiva problematisch. Es gibt einen Zeit-, vielleicht einen Volksgeist, aber der ist nicht einheitlich.

 

Aber muß Identität feste Einheit bedeuten? Fürchten Sie bei Preisgabe des Begriffs der Identität nicht Beliebigkeit, Vergleichgültigung?

KOSLOWSKI: Was aber heißt Identität, was meinen Sie: die einer Kultur, einer Nation? Wie wollen Sie Identität beschreiben?

 

Vielleicht liegt darin das Problem, daß die rationale Beschreibung solcher Phänome scheitert und wir davon auf deren Fehlen schließen? Vielleicht ist mehr Sein als Bewußtsein, also Prägung durch Tradition, Geschichte..., durch Nichtrationales, das sich nicht völlig transparent machen läßt?

KOSLOWSKI: Das mag sein, nur wenn man sie überhaupt nicht beschreiben kann, und das muß ja nicht unbedingt ein rein rationales Beschreiben sein, dann bin ich skeptisch, inwieweit solche Phänomene Kultur wirklich prägen. Da bin ich zu sehr Rationalist. Vielleicht sollte man konkret bleiben.

 

Was folgt für die Möglichkeiten der Differenzierung, wenn wir auf den Begriff der Identität und des Besonderen in der Kultur verzichten?

KOSLOWSKI: Ich habe versucht, den Begriff der Kultur zu beschreiben mit den Begriffen der deutschen historischen Schule: eine Kultur ist eine Lebensordnung und eine Daseinsdeutung. Kultur hat eine Seite der objektiven Institutionen, und sie hat eine Seite des Geistes dieser Institutionen. Der Begriff der Identität ist mir zu allgemein. Ich kann die genannten Funktionen beschreiben, aber wenn ich das tue, dann ist auch klar, daß diese Formen offen sind. Die kulturellen Identitäten eines Volkes ändern sich. Jeder, der stur an seiner einmal ergriffenen Identität festhält, ist in Gefahr, sich seiner Wandlungsfähigkeit zu begeben. Andersherum natürlich auch: Jemand, der seine Identität überhaupt nicht festhält, der verliert sie auch.

 

Wobei das Problem noch zu beschreiben wäre mit Kategorien der Moderne: Identität und Wandel, Norm und Geschichtlichkeit. Wie ändert sich das Verhältnis in der Postmoderne?

KOSLOWSKI: Es gibt unter den Theoretikern der Postmoderne verschiedene Fraktionen. Die Radikalen interpretieren jede Identitätszuschreibung schon als eine Art Faschismus. Aber das ist eher eine Form der Hypermoderne. Der Impetus der Verflüssigung und Enttraditionalisierung wird noch übersteigert, das Vereinigende der Vernunft aufgegeben. Mein Konzept möchte ich als "konservative Postmoderne" bezeichnen. Aber das impliziert auch, daß es Elemente der Modernität als Zeitgemäßheit enthält und sich im klaren ist, daß man sich von seinen Vorgängern nicht völlständig abstoßen kann. Das wäre wieder eine antitraditionalistische Illusion. Die Moderne gehört zu unserer Tradition.

 

Aber die Moderne wird in ihrer normsichernden Subjektivität getroffen. Woher gewinnt ein postmodernes Denken seinen Grund?

KOSLOWSKI: Ich glaube, daß die Grundnormen weiterhin aus einem richtig verstandenen Naturrecht kommen. Es gibt etwas von Natur aus Richtiges. Das muß in verschiedenen Lebensbereichen natürlich interpretiert werden. Aber das, was richtig ist, ist nicht Resultat eines Diskurses, sondern durch die Struktur der Wirklichkeit vorgegeben. Nicht vollständig, sonst hätte man kein Problem. Daher die Unsicherheiten. Aber aus Tradition allein ist Normativität nicht zu generieren, weil unsere Tradition eine rationalistische ist. Die modernen Diskurse sind nicht in der Lage, Gemeinsamkeit herzubringen.

 

Woher gewinnt der nachmoderne Mensch Halt in der Interpretation der Wirklichkeiten?

KOSLOWSKI: Ich glaube, daß auch die Faktizität der Lebensordnung Normen setzt. Man muß aber auch klar sehen, daß die normativen Ressourcen so stark nicht sind, sonst gäbe es keinen Streit. Und das war nie anders.

 

Sie haben viel über Staat und Gesellschaft geschrieben. Wir würden Sie das Verhältnis am Ende der Moderne beschreiben?

KOSLOWSKI: Der alte Dualismus wird nicht verlorengehen. Aber es wird zu einem Funktionsverlust des Staates durch die Wirtschaft kommen. Die Wirtschaft organisiert sich nicht mehr im Rahmen des Nationalstaates. Das bedeutet nicht, daß wir staatenlosen Verhältnissen entgegengehen, doch das Verhältnis von Staat und Gesellschaft wird neue Formen annehmen. Bestimmte Momente der Sozialpolitik werden beim Staat bleiben, auch wenn die Internationalisierung fortschreiten wird. Ob der neue Staat noch der alte Nationalstaat sein wird, möchte ich aber bezweifeln.

 

Sie fürchten nicht, daß durch die Machtentfaltung ökonomischer Rationalität die Bedeutung des Politischen überhaupt schwindet?

KOSLOWSKI: Subjekt der Wirtschaft sind die Großunternehmen. Es kann sein, daß Wirtschaftsführer mächtiger werden als Politiker. Zunächst bedeutet die Internationalisierung aber nur eine Verschiebung: auch auf internationaler Ebene werden politische Vermittlungsformen entstehen, die versuchen werden, die Wirtschaft zu regulieren. Es ist kein neues Phänomen, daß der Staat sich in Konflikt befindet mit gesellschaftlicher, ökonomischer Macht. Diese Macht wird nur internationalistischer.

 

Der Begriff der Res publica hängt am verantwortlichen und verantwortungsbewußten Bürger. Woran soll sich Bürgerbewußtsein orientieren in einer Gesellschaft totaler Medien-Technik und Ihren Manipulationsmöglichkeiten?

KOSLOWSKI: Da bin ich optimistischer: mehr Information bedeutet mehr Rationalität. Grenzen durch Telekommunikation zu überwinden, das bietet große Chancen. Aber es stimmt: Der Einzelne kann immer weniger überprüfen, ob wirklich Information stattfindet. Vielleicht ist das meiste Desinformation. Die Vielfalt des Fernsehens hat zwar die Macht einzelner Fernsehsender gebrochen, aber vielleicht besteht die Desinformation darin, daß immer mehr Quatsch erzählt wird.

 

Sie treten ein für ein ausgewogenes Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit des Staates. Wie sollte dieses heute bestimmt werden?

KOSLOWSKI: Ich bin gegenwärtig sehr verunsichert, da ich nicht ganz absehen kann, was zum Beispiel eine politische Vereinigung Europas für die Identität der Bürger praktisch bedeutet. Ich glaube schon, daß es die Notwendigkeit eines politischen Gebildes gibt, sich zu definieren, abzugrenzen gegenüber anderen. Eine Nation ist eben eine Gemeinschaft. Nicht die einzige, erst recht nicht die letzte, aber eine entscheidende Gemeinschaft. Doch das, was früher von der Nation besetzt wurde, wandelt sich. Vielleicht wird die EU zu einer Nation der Europäer, vielleicht aber scheitert sie auch politisch und entwickelt sich zurück zu einem bloßen Markt.

Prof. Dr. Peter Koslowski

wurde 1952 geboren. Er studierte Philosophie, Volkswirtschaftslehre und Soziologie in Deutschland und den USA. Koslowski war von 1985 bis 1987 Professor und Leiter des Instituts für Philosophie und Studium fundamentale der Universität Witten/ Herdecke. Seit 1987 ist er Gründungsdirektor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, einer kirchlichen Stiftung des öffentlichen Rechts.

 

Literaturauswahl:

"Die postmoderne Kultur", 2. Aufl. München 1988;
"Der Mythos der Moderne. Die dichterische Philosophie Ernst Jüngers", München 1991; "Gesellschaftliche Koordination. Eine ontologische und kulturwissenschaft-liche Theorie der Marktwirtschaft", Tübingen 1991;
"Die Ordnung der Wirtschaft, Studien zur praktischen Philosophie und Politischen Ökonomie", Tübingen 1994;
"Ethik der Banken und der Börse", Tübingen 1998.
Koslowskis Bücher wurden in acht Sprachen übersetzt.


 
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