© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Schweiz: Das Volk hat gegen den EU-Beitritt entschieden - Politiker unterlaufen diesen Auftrag
"Die gute Sache auf unserer Seite"
von Reinhard U. Wegelin

Die "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (AUNS) ist aus dem politischen Alltag der Schweiz nicht mehr wegzudenken. Die vom konservativen Nationalrat Christoph Blocher geführte Vereinigung setzt sich unbeirrt für die Wahrung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft ein. Am 9. Mai hielt die AUNS in Bern ihre diesjährige Mitgliederversammlung ab – die 13. seit der Gründung.

Über 900 Mitglieder und Sympathisanten reisten an, um die Standortbestimmung des SVP-Abgeordneten zu hören. Der häufig mit dem österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Haider verglichene Blocher ist der populärste Schweizer Politiker. Im Unterschied zu den Freiheitlichen ist die SVP allerdings seit Jahren an der Regierung beteiligt. Dies hält Blocher jedoch nicht davon ab, dem Bundesrat – der Exekutive des Landes – gehörig die Leviten zu lesen.

Noch nie in diesem Jahrhundert seien Selbstbestimmung und Neutralität der Schweiz stärker bedroht gewesen als heute, und zwar von innen, das heißt von seiten der Regierung und des Parlaments, betonte Blocher in seiner Rede. Das Volk habe sich vor fünf Jahren mit dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) klar für die Unabhängigkeit und die Neutralität des Landes entschieden. Folgerichtig habe sich der Bundesrat entschlossen, bilaterale Verhandlungen mit der EU zu führen. Doch mitten in den Verhandlungen habe das Exekutivorgan dann den EU-Beitritt zum Ziel erklärt. Diese Auftragsmißachtung, die Konzeptlosigkeit und Widersprüchlichkeit, welche auch die meisten Parteien "auszeichne", habe über die EU-Streitfrage hinaus fatale Folgen: "Wo man nicht mehr die Kraft hat, die Unabhängigkeit, die Neutralität, die direkte Demokratie und die Souveränität hochzuhalten, wird ein Land erpreßbar!", so der charismatische Nationalrat und Präsident der großen Zürcher SVP-Kantonalpartei.

Die Schwäche zeige sich auch in der Landesverteidigung; im Verteidigungsdepartement finde man immer mehr Gefallen an großspurigen internationalen Aktionen, statt an der Erfüllung des eigenen Auftrags. Dies war eine deutliche Kritik an die Adresse von Blochers Parteifreund Adolf Ogi, seines Zeichens Verteidigungsminister der Schweiz. Bundesrat Ogi gehört der liberalen und regierungstreuen Berner SVP an.

Unter Hinweis auf das dreifache Jubiläumsjahr 1998 (350 Jahre Loslösung der Schweiz vom Deutschen Reich mit dem Westfälischen Frieden 1648, 200 Jahre Helvetik und damit Freiheit und Gleichheit aller Bürger nach dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft 1798 sowie 150 Jahre Schweizerischer Bundesstaat seit 1848) kritisierte Christoph Blocher insbesondere, daß Bundesrat und Parlament ausgerechnet 1648 nicht feiern wollten: "Hat man in Bern etwa Angst, die schweizerische Bevölkerung oder gar ausländische Staaten würden auf die Souveränität der Schweiz aufmerksam? Schämt sich das offizielle Bern unserer Souveränität, welche 1648 der damalige Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein in mühsamsten bilateralen Verhandlungen errungen hat?" Vielleicht sei es aber besser, wenn das offizielle Bundesbern zu diesem Jubiläum schweige. Sonst müßte das Schweizer Volk noch erleben, so fuhr der AUNS-Präsident in seiner Philippika fort, daß man sich 350 Jahre nach Erringung der schweizerischen Unabhängigkeit für diesen unsolidarischen, ja ungeheuerlichen Akt dem Ausland gegenüber entschuldige.

1848 habe sich die Schweiz aus eigener Kraft und ohne Einmischung fremder Staaten eine liberale, freiheitliche Gestalt gegeben. Das Land habe damals den Mut gehabt, einen Sonderfall zu schaffen, und die Schweiz sei, was den Föderalismus, die direkte Demokratie, die Neutralität und die Gemeindeautonomie betreffe, bis in die Gegenwart weltweit ein Sonderfall geblieben. "Wer heute die nationale staatliche Souveränität aufgeben will, wer heute unsere Soldaten ins Ausland schicken will, ohne daran zu denken, daß sie dabei auch ihr Leben verlieren können und daß man in die Parteilichkeit miteinbezogen wird, verrät die Idee des Bundesstaates von 1848!", rief Blocher dem Publikum zu.

Die Stärke der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz liegt vor allem im politischen Engagement ihrer Mitglieder. Inzwischen sind es über 30.000, eine für schweizerische Verhältnisse äußerst große Zahl. Allein seit dem letzten Jahr hat sich der Mitgliederbestand um über 5.700 (das heißt um 23 Prozent) erhöht. Zudem wurde die Geschäftsstelle personell und administrativ mit dem Zürcher SVP-Haudegen Hans Fehr verstärkt. Damit hat die AUNS ihre Schlagkraft erhöht und ist für die kommenden schweren Urnengänge, unter anderem für eine EU-Abstimmung, ein zweites EWR-Referendum sowie eine allfällige Volksabstimmung gegen schlechte bilaterale Verhandlungsergebnisse, gerüstet.

Als Unternehmer weiß Christoph Blocher, wovon er redet. In der Wirtschaft plädiere fast niemand mehr für den EU-Beitritt, man habe offensichtlich die Vorteile der unabhängigen, neutralen, weltoffenen Schweiz außerhalb der EU erkannt. "Die Zeit hat für uns gearbeitet. Wir haben die gute Sache, die Argumente auf unserer Seite, das macht zuversichtlich", stellte er fest.

Eine gehörige Portion Optimismus und Selbstvertrauen werden die AUNS und die EU-kritischen Kräfte der SVP auch brauchen, wenn sie sich gegen die den eigenen Vorstellungen entgegenstehenden Entwicklungen in anderen Parteien wirksam zur Wehr setzen wollen. So hatte die Christlich-Demokratische Volkspartei (CVP) noch 1995 vor den Wahlen erklärt, der EU-Beitritt der Eidgenossenschaft sei bis ins Jahr 2000 kein Thema. Wegen der bisherigen Mißerfolge in den bilateralen Verhandlungen will die Partei nun jedoch den baldigen Beitritt zur Europäischen Union. Die Schweizer Position wird so weiter geschwächt, und in der eigenen – vor allem in der katholischen Innerschweiz noch konservativen – Parteibasis regt sich Unmut über diesen neuen Kurs.

Viele CVP-Delegierte waren beim Parteikongreß kürzlich in Basel offenbar der festen Überzeugung, daß es keine Alternative zum Ja zur EU mehr gebe. Man habe nun fünf Jahre "herumgedoktert", und es sei jetzt wirtschafts- und sozialpolitisch an der Zeit, das Beitrittsgesuch zu stellen, meinte beispielsweise ein Thurgauer Delegierter. Eine allgemeine "Europäisierung" finde ohnehin statt. Auf die Frage, wie es denn mit dem Unabhängigkeitswillen der Schweiz stehe, wich dieser Redner allerdings aus und meinte, sich damit noch zu wenig befaßt zu haben. Die Antwort der CVP-Führung fällt dagegen ebenso deutlich wie zweifelhaft aus, wenn sie sich in einer Resolution davon überzeugt zeigt, daß sich die politische Souveränität des Landes sowie die eigenen wirtschaftlichen, bildungs- und forschungspolitischen, sozialen und kulturellen Interessen innerhalb der EU "am effektivsten" verfolgen ließen. Andererseits müßten, so fügte man etwas kleinlauter hinzu, in der Frage der "Wahrung der direktdemokratischen Mitwirkungsrechte im Rahmen der EU-Entscheidungsprozesse" noch Lösungen erarbeitet werden. Offensichtlich haben sich die nur mehr wenigen konservativen Exponenten in den Reihen der Christdemokraten mittlerweile dem "Schicksal Brüssel" ergeben.

Die Euro-Turbos schlechthin sind im Bundesrat die Schweizer Sozialdemokraten. Sie wollen den "Anschluß" möglichst schnell bewerkstelligen und hoffen damit sogar, die direkte Demokratie noch ausbauen zu können. Besonders konzeptionslos in Sachen EU wirkt die liberale FDP als die größte bürgerliche Partei der Schweiz. Im Jahre 1995 beschloß man den EU-Beitritt als "strategisches Ziel". Aber erst drei Jahre später erging an den Bundesrat die Aufforderung, "die EU-Kompatibilität schweizerischer Normen" und die "Auswirkungen einer EU-Mitgliedschaft auf die direkte Demokratie" abzuklären. An der Basis der eidgenössischen FDP, die deutlich weiter rechts steht als ihre deutsche Namensvetterin, ist bis heute gegen die Beitrittsbestrebungen noch eine größere Opposition zu spüren.

Dort dürfte auch die am 9. Mai abschließend formulierte Resolution der AUNS-Mitglieder mit besonderem Interesse gehört worden sein. Der Schweizer Bundesrat wird darin aufgefordert, die Volksentscheide und die Bundesverfassung endlich zu respektieren oder zurückzutreten, den klaren Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung zu erfüllen – und zwar unter strikter Wahrung der dauernden Neutralität.


 
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