© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
JF-Reportage zum Vatertag ´98: wo Biertrinken zum Politikum wird
Typen im Lesbenblock
von Manuel Ochsenreiter

Als am 21. Mai die Sonne über Deutschland aufgeht, macht sich ein Lächeln im Gesicht vieler Männer breit. Feiertag, Christi Himmelfahrt oder besser "Vatertag" beziehungsweise "Herrentag" ist angesagt. Erschütternde Szenen sind es, die sich an solchen Tagen ereignen und uns per TV live ins Wohnzimmer übertragen werden. Dickleibige, schnurrbärtige Männer tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Bier formte diesen wunderschönen Körper", dabei singen sie Lieder wie "Wir versaufen unser’ Oma ihr klein Häuschen" und trinken Bier bis zum engültigen Verlust der Muttersprache. Ihre Frauen machen derweil Kaffeekränzchen und warten auf den Anruf des Göttergatten, wo er denn abzuholen sei. Doch wahrscheinlich gebärden sich die dort gezeigten Männer auch die restlichen 364 Tage des Jahres nicht großartig anders.

Herrentag – ein Tag, an dem sämtliche Männer (und auch Frauen) mal fünfe gerade sein lassen und gemütlich zusammensitzen ohne nervenbelastenden Hickhack. Gemütlich zusammensitzen? Gut drauf sein? Einmal Nerven schonen? Schnitt – "Keine Typen im Lesbenblock!" schrill und übersteuert piepst eine Stimme aus dem postgelben Lautsprecherwagen am Berliner U-Bahnhof Samariterstraße. "Der Lesbenblock marschiert vor dem Lautsprecherwagen, dahinter der Frauenblock! Hey, keine Typen da drinnen!" Die junge Dame sieht sich vor einer choreographischen Unmöglichkeit. Es ist eine Antifa-Demonstration gegen den "Vatertag", darunter auch Daniela, 17, mit ihrem Hund Django, 11 Monate, der trotz seiner Männlichkeit im Frauenblock mitmarschieren darf – naja, eigentlich ist er ja kastriert. Daniela haben wir bereits vor der Demonstration in der U-Bahn getroffen. Wieso sie demonstriert, wollten wir wissen. "Gegen den Herrentag, denn da feiern sich die Männer als Herrenmenschen, und das kommt von den Nazis." Und was sie ihrem Vater zum Vatertag schenkt? Daniela wird rot, Django kratzt sich mit der Hinterpfote am Ohr. "Ich bin leider noch nicht zum Einkaufen gekommen, aber gratuliert habe ich ihm schon." Und heute nachmittag setzt sie noch rasch ein Zeichen "gegen Faschismus, Sexismus und Unterdrückung".

Tatsächlich hingen in einigen Kneipen Plakate, die zum antifaschistischen Protest gegen den Feiertag aufriefen. Die Demonstration soll an der Personifikation des Bösen, namentlich am "Café Germania" in Berlin-Lichtenberg, vorbeiführen. Dort, so wissen die Verfasser des Aufrufs, die sich hinter einer Tarnadresse verbergen, verkehren ganz schlimme Finger. Um sich von den biertrinkenden Faschos abzugrenzen beinhaltet der Aufruf die Devise "No Alk!" Ein gutgemeinter Rat, den sich allerdings die "Typen", die sich dauernd irrtümlich in den "Lesbenblock" stellen, so gar nicht zu Herzen nehmen. So sieht man mehr Becks- und Schultheiß-Büchsen in den Fäusten als rote Fahnen. Bevor die Demo beginnt, muß also noch viel geklärt werden, vor allem aber die Typen aus dem Lesbenblock geholt werden. Wie man sieht, keine leichte Aufgabe, selbst Daniela weiß nicht so genau, wo sie mit Django eigentlich hingehört.

Derweil im "Café Germania": Immer mehr Leute kommen zusammen, um den Herrentag zu feiern. Draußen stehen Bierbänke, die Sonne scheint. Andreas, der schwäbische Wirt, ist zufrieden. "Ein herrliches Wetter!" strahlt er, während er ein "Dunkles" zapft. Das Café, das er seit einem halben Jahr betreibt, erfreut sich großer Beliebtheit vor allem in der "rechten Szene". Deshalb ist das Lokal nicht unumstritten und mußte bereits vier Anschlägen und zwei Demonstrationen standhalten. "Von so was lassen wir uns nicht unterkriegen", meint der Wirt trotzig aber gutgelaunt. Zu der Anti-Vatertags-Demo äußert der 30jährige: "Als Soldat und Student habe ich viele Länder der Welt bereist und finde es deshalb unbegreiflich, daß Biertrinken und Fröhlichsein hierzulande zum Politikum gemacht wird. Mein Lokal steht allen toleranten und niveauvollen Gästen offen." In der Tat, das "Germania" ist kein rechtes Lokal, wie man es sich vorstellt. Große Fenster, moderner Tresen, Bilder mit Wikingern und Musik von Wagner bis Rock’n Roll bestimmen das Umgebung. Nicht ohne Selbstironie präsentiert sich die Speisekarte. So ist ein "Thorshammer" eine überdimensionale Bratwurst und wer mehr als drei "Ostaras Traum" trinkt, kommt eventuell hinter das Rezept des Cocktails (Pina Colada mit Ananassaft).

Die Stimmung ist gut, das Lokal zum Bersten voll, statt Politisiererei bewegen die Sommerfrischler echte Männerthemen. Die Rede ist da von der 2. Bundesliga, von Einspritzpumpen und von günstigen Bodenbelägen bei Obi.

U-Bahnhof Samariterstraße: Die Demo setzt sich inzwischen in Gang – die Frankfurter Allee, einst Stalin-Allee, wird von der Polizei abgeriegelt. Fotografieren darf nur, wer sich am Pressewagen seine Erlaubnis geholt hat und Typen haben im Lesbenblock noch immer nichts verloren. Etwa 200 Menschen demonstrieren jetzt gegen den Herrentag und "setzten Zeichen" in Form von leeren Bierbüchsen am Wegesrand. Man merkt, es ist schulfrei. Im "Germania" sitzt man derweil draußen und inspiziert fröhlich die im Schritttempo vorüberfahrenden Autos, aus denen sogenannte Antifas – in geheimer Mission natürlich – Fotos schießen. Doch auch dort steigt die Nervosität. Polizei erscheint, die über 100 "Germania"-Besucher werden aufgefordert in das Lokal zu gehen. "Wannen" fahren vor, die Polizisten stellen sich martialisch vor das Café. Der Lesbenblock ruft die nicht ganz neue Parole "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten!" und ballen Fäuste. Die Typen im Block werden für einen ganz kurzen Augenblick völlig verdrängt. Es wird böse geschaut, was das Zeug hält. Im "Germania" wird weiter gefeiert, einige singen die Sesamstraßen-Hymne "Hätt’ ich dich heut erwartet, hätt’ ich Kuchen da!" In der Demonstration schlägt die Stunde der Hobby-Fotografen. Überall, wo Germania-Besucher hinter den Polizisten sichtbar sind wird abgelichtet. Als der Zug vorbei ist, kommt plötzlich Aufregung. Ein paar Demonstranten haben sich abgesetzt, um das Lokal anzugreifen. Schnell greift die Polizei ein und beendet das Handgemenge von Germania-Verteidigern und Demonstranten – die Feier kann weitergehen.

Gegen Abend verlassen die ersten Gäste – Familienväter – das Café oder lassen sich abholen. Drinnen wird ein Medley mit altbekannten Schlagern gespielt. Der Wirt ist zufrieden, daß alles so gut über die Bühne lief. "Freiheit ist halt noch immer die Freiheit der Andersdenkenden. Und heute sind wir die Andersdenkenden", lacht er, während er kräftig am Zapfhahn dreht.

Die Demonstration löst sich auf. Ja, man fühlt sich gut. Es ist schön, Gutes zu tun, denkt sich Daniela wohl insgeheim. Wenn sie heute zufrieden lächelnd nach Hause kommt, hat sie sicher viel zu erzählen von gesetzten Zeichen, Faschisten, Lesben, Herrenmenschen und nicht zuletzt von den vielen Typen, die einfach nicht aus den Frauen- und Lesbenblöcken verschwinden wollten.

 

Am Samstag, dem 23. Mai, wurde auf das "Café Germania" wieder ein Anschlag verübt. Rund 50 Personen aus dem linksextremen Spektrum bewarfen das Lokal mit Pflastersteinen und Flaschen. Personen kamen nicht zu Schaden.


 
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