© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Vor 50 Jahren verloren Tschechen und Slowaken ihre Freiheit
Bestellte Selbstmorde
von Alfred Schickel

Als am 7. Juni 1948 der tschecho-slowakische Staatspräsident Edvard Benesch resigniert von seinem Amt zurücktrat und sich verbittert auf seinen Landsitz Sezimovo Usti bei Prag zurückzog, war nicht nur der von ihm 1918/19 mitbegründete und 1945 wieder erneuerte Staat der Tschechen und Slowaken formal eine kommunistische Volksdemokratie geworden, sondern auch eine schwere innenpolitische Machtprobe zwischen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPC/KPSl) und den bürgerlichen Kräften mit einem Sieg der Kommunisten zu Ende gegangen. Daß es zur Proklamation der tschechischen "Volksdemokratie" kam, war das Ergebnis erfolgreicher Untergrundarbeit der KPC und KPSl, eines planmäßigen Marsches durch die Institutionen und einer gekonnten Strategie der kommunistischen Führer im Februar 1948.

Den ersten Schritt zum Machtwechsel auf dem Prager Hradschin hatte freilich – wenn auch unbewußt und wider Willen – das tschechoslowakische Volk selbst getan, als es bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 26. Mai 1946 die Kommunistische Partei von ursprünglich 14 auf rund 38 Prozent anwachsen ließ und ihr mit insgesamt 114 Mandaten eine eindeutige Führungsstellung im Lande zuwies. Staatspräsident Benesch hatte aus diesem Wahlergebnis die Konsequenz gezogen und den kommunistischen Abgeordneten Klement Gottwald als Nachfolger des Sozialdemokraten Zdenek Fierlinger zum tschechoslowakischen Ministerpräsidenten ernannt.

Die in weiten Schichten des Volkes anzutreffende kommunistenfreundliche Stimmung erschwerte es den beiden anderen Parteien, den Sozialdemokraten und den "National-Sozialisten", einen entschiedenen Gegenkurs gegen die politischen und ideologischen Absichten der KPC zu steuern, so daß die totale Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakischen Republik (CSR) nicht mehr völlig auszuschließen war, zumal die kommunistische Vormacht, die Sowjetunion, wegen ihrer ablehnenden Haltung zum Münchner Abkommen von 1938 große Sympathien, besonders unter den politischen Publizisten und Intellektuellenkreisen genoß. Die 1945 in Böhmen und Mähren als Befreierin von den Deutschen einmarschierte Rote Armee und ihre dort verbliebenen Einheiten steigerten den Einfluß der Kommunisten noch weiter. Der im Dezember 1935 abgeschlossene und 1943 erneuerte "Freundschafts- und Beistandspakt" zwischen der CSR und der UdSSR tat ein übriges, um die Verbindung zwischen Moskau und Prag zu vertiefen. Wie sehr die Tschechoslowakei und ihre politische Führung bereits ein Jahr nach den Parlamentswahlen vom Kreml abhingen, zeigte sich am 7. Juli 1947. An diesem Tage beschloß die Prager Regierung, an der von den Vereinigten Staaten angeregten Marshall-Plan-Konferenz in Paris teilzunehmen, um ebenfalls in den genuß der in Aussicht gestellten amerikanischen Wirtschaftshilfe zu kommen. Wenige Stunden nach Bekanntgabe dieses Regierungsbeschlusses rief Stalin den tschechischen Ministerpräsidenten Gottwald und dessen Außenminister Jan Masaryk nach Moskau, um ihnen zu eröffnen, daß eine Teilnahme am Marshall-Plan gegen den Freundschaftsvertrag von 1943 verstoße und daher abgelehnt werden müsse. Gottwald und sein Kabinett annullierten daraufhin am 9. Juli 1947 den zwei Tage zuvor gefaßten Beschluß mit der gleichen Einstimmigkeit, wie sie ihn am 7. Juli angenommen hatten.

Nachdem durch eine emsige Werbung auch die Mitgliederzahl der KPC von 27.000 im Mai 1945 auf inzwischen über eine Million im Herbst 1947 angestiegen war, glaubten sich die Kommunisten im Winter 1947/48 schließlich stark genug, um die entscheidende Machtprobe mit den bürgerlichen Kräften zu wagen. Sie hielten den Zeitpunkt des Losschlagens überdies für gekommen, da der antikommunistische Justizminister Prokop Drtina gegen einige KP-Funktionäre staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Geheimbündelei und unbefugten Waffenbesitzes hatte einleiten lassen, denen dann am 21. Januar 1948 sein Antrag auf Aufhebung der Immunität des kommunistischen Abgeordneten Jaroslav Sosnar folgte.

Die Kommunisten provozierten mit der Entlassung von acht hohen Polizeioffizieren, die umgehend durch KPC-Mitglieder ersetzt wurden, ihre bürgerlichen Koalitionspartner. Zwar erreichten Sozialdemokraten, "National-Sozialisten", die christlichen "Volksparteiler" und die Demokratische Partei einen Kabinettsbeschluß, nach dem die Entlassung der acht Polizeioffiziere sofort durch den zuständigen kommunistischen Innenminister Vaclav Nosek rückgängig gemacht werden sollte, doch meldete sich Nosek für die nächsten Tage krank und verhinderte auf diese Weise den Vollzug dieses Beschlusses. Ministerpräsident Gottwald vertröstete die Koalitionspartner auf die nächste Woche. Diese wollten jedoch den Kabinettsbeschluß vom 13. Februar 1948 möglichst bald durchgeführt sehen, anderenfalls sie ihre weitere Mitarbeit in der Regierung überprüfen müßten. Besonders die Minister der "National-Sozialisten", der christlichen Volkspartei und der Demokraten drängten auf eine Annullierung der ausgesprochenen Entlassungen. Die Sozialdemokratische Partei (SPC) war in sich zerstritten.

Ministerpräsident Gottwald und seine Kommunistische Partei nutzten die unentschiedene Haltung der SPC und berief vier Tage nach dem Beschluß, die Polizeioffiziere wieder einzustellen, eine Kabinettssitzung für den 17. Februar. Als die bürgerlichen Minister hörten, daß Nosek den Regierungsbeschluß vom 13. Februar immer noch nicht vollzogen hatte, erneuerten sie ihre Forderung nach umgehender Rücknahme der verfügten Entlassungen. Gottwald und die Kommunisten stellten das Verhalten der Minister als Versuch hin, die Regierungsarbeit zu lähmen und behaupteten in zahlreichen Versammlungen, die bürgerlichen Parteien fungierten als Handlanger der Amerikaner und des Vatikans. Die KPC setzte die Legende in die Welt, "kapitalistische Rechtskreise" planten einen kalten Staatsstreich und wollten die Kommunisten aus der Regierung drängen. Die bürgerlichen Parteien wurden öffentlich der "Sabotage" bezichtigt.

Als Gottwald und die KPC am 19. Februar der SPC eine "Kampfgemeinschaft" nach dem Vorbild der sowjetzonalen SED vorschlug, entschlossen sich sämtliche bürgerlichen Minister am Abend des gleichen Tages zu einem spektakulären Schritt. Sie kamen überein, den Rücktritt einzureichen, falls am 20. Februar auf der vereinbarten Kabinettssitzung noch immer kein Bescheid über Vollzug des Regierungsbeschlusses vom 13. Februar vorliegen sollte. Entsprechend demissionierten sie am 20. Februar, da sich Nosek immer noch nicht bereit gefunden hatte, den Beschluß zu vollziehen. Die erhoffte Solidarität von den Sozialdemokraten und den beiden parteilosen Ministern, Ludvik Svoboda und Jan Masaryk blieb aus. Gottwald setzte dagegen den ganzen Propagandaapparat seiner Partei in Bewegung. "Arbeiter-Delegationen", organisierte Umzüge und bestellte Telegramme sollten diese Forderung noch unterstreichen.

Am folgenden Sonntag, den 22. Februar 1948 traf nicht nur Valerian Sorin aus Moskau in Prag ein, sondern es tagte auch der von der KPC ausgerichtete "Betriebsräte-Kongreß" in der Hauptstadt und faßte eine Resolution, in welcher die sofortige Entlassung der 12 zurückgetretenen Minister und ihre Ablösung durch "volksfreundliche Männer" gefordert wurde. Zugleich setzte eine großangelegte Verhaftungswelle gegen angebliche "Rechtsverschwörer" ein.

Als Präsident Benesch sich noch immer weigerte, die Demissionen anzunehmen und Gottwald riet, es doch nochmals mit den Ministern zu versuchen, lehnte dieser eine Zusammenarbeit "mit Verrätern" ab und kündigte für den 24. Februar einen Generalstreik in allen Betrieben und Behörden an. Unter dem Eindruck dieser tatsächlich folgenden Arbeitsniederlegung gab Benesch schließlich am 25. Februar nach.

Am 28. Februar 1948 fand man Ex-Justizminister Drtina schwerverletzt auf dem Gehsteig vor seinem Prager Haus und am 10. März unter den Fenstern seiner Wohnung den Leichnam Jan Masaryks. In beiden Fällen sprach die Polizei von Selbstmord. In den folgenden Wochen und Monaten zogen sich die meisten nichtkommunistischen Politiker ins Privatleben zurück, so daß die Kommunisten am 9. Mai eine "volksdemokratische Verfassung" beschließen und vier Wochen später schließlich Staatspräsident Benesch aus dem Amt drängen konnten.


 
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