© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Osterweiterung: US-Interessen bestimmen das Tempo
Politik ohne Vision
von Peter Lattas

 

Diplomatie ist die Stärke von Kohl, Kinkel & Co. wahrhaftig nicht.  Von einer Regierung, die jegliches politisches Handeln unter den Primat der Innenpolitik stellt, kann man ein souveränes Vertreten nationaler Interessen nach außen auch kaum erwarten. Im Zweifelsfalle gilt: Hängen wir unser Fähnchen in den amerikanischen Wind.

Nirgends zeigt sich dies deutlicher als in der Auseinandersetzung um die Osterweiterung des Nordatlantikpakts. Das Projekt selbst ist lupenreine amerikanische Vormacht- und Interessenpolitik: Getreu der in letzter Zeit immer ungenierter vorgetragenen Maxime, amerikanische Weltpolitik habe vor allem Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze in Amerika zu schaffen, wird die Nachrüstung der neuen NATO-Mitgliedsarmeen mit moderner Kommunikations-, Führungs- und Luftsicherungstechnologie nahezu ausschließlich die US-Auftragsbücher füllen. Wo europäische NATO-Partner Aufnahmeaspiranten ins Spiel brachten, die dazu nicht bereit waren, wurden sie eiskalt abgebürstet. Deutschland hielt sich mit eigenen Vorschlägen ohnehin zurück.

Außenminister Kinkel – derselbe, der der Freundschaft mit den Vereinigten Staaten einmal "Verfassungsrang" zuerkannte – pries an anderer Stelle die gegenwärtige außenpolitische Lage Deutschlands mit der Umschreibung, "wir sind nur noch von Freunden umgeben". Die kuriose Variante des Einkreisungstraumas dürfte mit der NATO-Osterweiterung à l’américaine Wirklichkeit werden.

Für die Beziehungen zu Rußland, dem Deutschland bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen noch versprochen hatte, keiner Osterweiterung des Nordatlantikpakts zuzustimmen, ist das eine gewaltige Hypothek. Dadurch, daß nur einige wenige von den Amerikanern ausgewählte Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas in die NATO aufgenommen werden, wird Europa erneut in eine amerikanische und eine russische Einflußzone gespalten – und Deutschland läßt sich auf eine Seite festlegen. Im Austausch gegen diesen Verlust an außenpolitischem Handlungsspielraum erhält Deutschland eine zweifelhafte, unter amerikanischem Druck forcierte "Aussöhnung" mit den östlich angrenzenden Staaten, bei der fundamentale deutsche Rechtspositionen unter die Räder kommen.

Gleich zu Beginn des Osterweiterungsprozesses hat die amerikanische Außenpolitik die Parole ausgegeben, daß aussichtsreiche Kandidaten für die Aufnahme in die NATO nur solche Staaten sein können, die vorher alle Grenz- und Minderheitenprobleme mit ihren Nachbarstaaten beigelegt haben. Wie zu Zeiten von KSZE und Kaltem Krieg stellt die US-Politik den Status quo der Staatsgrenzen über das dynamische Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Die Folge war ein Feuerwerk von Nachbarschafts-, Freundschafts- und Ausgleichsverträgen von Moldawien bis zur Ostsee. Die östlichen Eckpfeiler der amerikanischen neuen NATO-Ordnung sind Ungarn, Polen und die Tschechei. Das größte ungelöste territoriale und Nationalitätenproblem vor allem der beiden letzteren ist die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen, Raub und Beschlagnahme ihres beweglichen und unbeweglichen Eigentums sowie die völkerrechtswidrige Annexion ihrer Heimat.

Jede vernünftige Regierung hätte in dieser Situation das Interesse dieser Staaten an einem raschen Ausgleich ausgenutzt, um den legitimen Anspruch auf Widergutmachung dieses Unrechts nach Kräften durchzusetzen. Beispiel: Italiens hartnäckiger Druck auf Slowenien, von dem es eine Besserstellung der italienischen Minderheit und Entschädigungen für die nach 1945 vertriebenen Landsleute im Gegenzug zu seiner Unterstützung für die Aufnahme Sloweniens in die EU verlangte. Nicht so Deutschland: Den Spitzen des Bundes der Vertriebenen, die vom Bundeskanzler ein Junktim zwischen der deutschen Unterstützung für die polnischen und tschechischen NATO-Aufnahmegesuche und den Rechtsansprüchen der heimatvertriebenen Deutschen verlangten, erklärte Kohl Zeitungsberichten zufolge unverblümt, daß dies überhaupt nicht in Frage komme, und beschwor die Funktionäre auf Stillschweigen hierüber gegenüber ihrer Klientel ein.

Daß die neue BdV-Präsidentin und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach jetzt, nachdem alle einschlägigen bilateralen Verträge und "Versöhnungserklärungen" über die Bühne gebracht sind, sich mit solchen Forderungen gegenüber dem FDP-Außenminister profilieren darf, fällt bereits unter die Kategorie Wahlkampf-Kasperletheater.

Die Entschädigungsforderungen der Heimatvertriebenen aussitzen und der amerikanischen NATO-Schnellerweiterung keine Hindernisse in den Weg legen – als Maxime deutscher Osteuropapolitik ist das reichlich dürftig. Als Grundlage für eine dauerhafte politische Neuordnung Ostmitteleuropas schon gar nicht.


 
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