© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Universität: In Göttingen bekommt die Studentenverbindung einen Staatskommissar verordnet
Zugriff auf den Jackpot des AStA
von Christian Vollradt

Wenn demnächst ein Staatskommissar die Geschäfte der studentischen Selbstverwaltung an Göttingens Georga-August-Universität übernimmt, so hat dies seinen Grund nicht etwa in einer Art "Preußenschlag" des Universitätspräsidenten, sondern liegt an der Zerstrittenheit innerhalb der linken Mehrheit des Studentenparlaments.

Obwohl dort seit den Hochschulwahlen Ende Januar alle linken Gruppen zusammen sechs Sitze mehr haben als das bürgerliche Lager – bestehend aus einer unabhängigen Fachschaftsliste, dem Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und der Liberalen Hochschulgruppe –, konnten sie sich auch nach monatelangen Verhandlungen nicht auf eine Koalition verständigen, die den Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) bildet.

Nach dem Gesetz muß das nun entstandene Vakuum und insbesondere die Aufsicht über den ungefähr eine Million Mark umfassenden Haushalt der Studentenschaft durch einen von der Universitätsverwaltung eingesetzten Staatskommissar treuhänderisch so lange gefüllt werden, bis in einem erneuten Anlauf ein AStA gewählt wird.

Wegen dieser ungewöhnlichen Situation ist im "Rosa-Luxemburg-Haus", wie das AStA-Gebäude einst bedeutungsschwanger getauft worden ist, ein Stück linksemanzipatorischen Selbstbewußtseins badengegangen. Ausschlagend für das Scheitern einer Neuauflage der bisherigen linken AStA-Koalition ist der Streit um eine mögliche Beteiligung der Antifaschistischen Liste, die für eine Mehrheitsbeschaffung zwar nicht notwenig wäre, aber von der Grünen Hochschulgruppe, der Offenen linken Liste und der Frauenliste erwünscht wird. Die mit lediglich zwei Abgeordneten vertretene Antifaschistische Liste soll quasi als parlamentarische "Force de frappe" die guten Beziehungen der Studentenvertretung zu den zahlreichen autonomen Gruppen in Göttingen garantieren.

Diesem Vorhaben stellte sich jedoch die Jungsozialistische Hochschulgruppe entgegen, die bei den jüngsten Wahlen als einzige linke Fraktion erhebliche Stimmenverluste gegenüber dem Vorjahresergebnis hinnehmen mußte und einen Sitz im Studentenparlament verlor. Nicht daß etwa zwischen den Jusos und den radikaleren linken Gruppen ein Dissens im Anerkennen eines angeblichen allgemeinpolitischen Mandats des AStA bestünde; auch der SPD-Nachwuchs bestreitet keineswegs die Notwendigkeit einer studentischen Opposition gegen neoliberalen Kapitalismus, Castor-Transporte, Gen-Tomaten und Burschenschaften. Strittig ist jetzt nur, wie weit diese Opposition gehen darf. Im Gegensatz zu den Jungsozialisten, die in der studentenischen Gremienarbeit voll aufzugehen scheinen und traditionell im AStA die eher dienstleistungsorientierten Arbeitsfelder Soziales und Hochschulpolitik belegten, versteht sich die Antifaschistische Liste als marxistisch orientierte Avantgarde, deren revolutionäres Begehren für tiefergreifende Veränderungen der Gesellschaft durch das parlamentarische Getriebe eher gehemmt als gefördert werde.

Antifa-Liste rechtfertigt Militanz als Gegenwehr

 

Es geht unterschwellig in diesem Kampf um die Frage, was eigentlich außer dem antipatriarchalischen Groß-I vor fast jedem Wortende noch konstitutiv für Linkssein steht. Bei der Antifaschistischen Liste darf es ruhig ein bißchen mehr sein: ihre Militanz rechtfertige sich aus der Gegenwehr des sich emanzipierenden Individuums gegen staatliche Repression, gegen Herrschaft jeglicher Art. Aus dieser Einsicht heraus ist ihr Wahlkampf unter dem Motto "Selbstbestimmung statt Demokratie" und "Kommunismus statt Arbeit" zu verstehen. Und weil Widerstand eben "nicht notwendig kriminell" sei, durften sehr wohl einige überreife Produkte aus biologischem Anbau gegen den niedersächsischen Ministerpräsidenten und "sozialfaschistischen" Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder während seines Wahlkampfauftritts in Göttingen eingesetzt werden. Zudem möchte die Antifa durch ihre Zugehörigkeit zum AStA auch an den finanziellen Mitteln des studentischen Haushalts teilhaben, mit denen so manche Agit-Prop-Veranstaltung logistisch unterstützt werden kann.

Doch wenn jetzt die Jungsozialisten wegen freiheitlich-demokratischer Gewissensbisse vor dem Spiel mit den aktivistischen Schmuddelkindern zieren, so steckt in ihrer Argumentation auch eine gute Portion Heuchelei. Denn die Juso-Hochschulgruppe hatte in der vorigen Amtszeit keine Schwierigkeiten, mit einem Teil der jetzigen Antifa-Mitglieder, als dieser noch einer – inzwischen aufgelösten, aber nicht minder extremen – Basisgruppe angehörte, im damaligen AStA zusammenzuarbeiten. Kein Wunder also, daß die linken Ultras ihren jungsozialistischen Genossen nach dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen Verrat an der gemeinsamen Sache und Feigheit vor dem konterrevolutionären Feind vorwerfen. So wettert die Offene linke Liste gegen die Renegaten, sie hätten mit ihrer "spalterischen Machtpolitik" ein für die gesellschaftlichen Veränderungen notwendiges Bündnis verhindert. Und dann muß zur Begründung linker Solidarität auch noch das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt herhalten, sei mit diesem doch der Beweis für die voranschreitende "Renazifizierung" Deutschlands erbracht worden.

Zunächst durfte die bisherige bürgerliche Opposition als lachender Dritter diesem munteren ideologischen Hahnenkampf zusehen, bestand ja noch die Möglichkeit, daß die Jusos in ihrem Willen zur Macht die Kröte einer Duldung des von ihnen vorgeschlagenen Minimal-AStA durch die "rechten" Gruppen schlucken würden. Aber einen solch gravierenden Kurswechsel in Richtung der mutterparteilich proklamierten "neuen Mitte" wollten die Jungsozialisten nun doch nicht wagen.

Universitätspräsident übernimmt die Initiative

Nach einer vierzehntägigen Bedenkzeit übernahm nun der Göttinger Universitätspräsident Hans-Ludwig Schreiber die Initiative. Wenn erneut die nötige Mehrheit für einen AStA fehlt, solle das Studentenparlament aus seiner Mitte einen Kandidaten bestimmen, den der Präsident dann als "studentischen Staatskommissar" einsetzen wolle; für diesen Weg entschloß sich auch die linke Mehrheit während der letzten Sitzung des Studentenparlaments vorige Woche und einigte sich auf einen Kandidaten der Grünen Hochschulgruppe – wohl in der begründeten Hoffnung, unter dessen Ägide wenigstens die finanzielle Ausstattung ihrer emanzipatorischen Hobbies garantieren zu können. Offensichtlich scheint die Idee einer auf diese Weise gemilderten Version der kommissarischen Studentenschaftsleistung dem Harmoniebedürfnis des bald aus dem Präsidentenamt scheidenden Schreiber zu entspringen, der so dem Verdacht obrigkeitlicher Willkür aus dem Wege gehen möchte.


 
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