© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
WWW: Wohin die Maus auch zeigt, keine Zucht und Ordnung
Extremismus im Internet
von Andreas Hühn

Gewaltdarstellungen, Pornographie bis hin zum Kindersex, politische Verschwörungstheorien, Bastelanleitungen für Bomben und krude Selbstdarstellungen extremistischer Gruppen – all das kann man im Internet finden, wenn man nur lange genug danach sucht. Es ist fast wie im richtigen Leben. "Deutsche Zucht und Ordnung verlange ich hier", forderte Diedrich Hessling in Heinrich Manns Der Untertan. Doch die Zeiten sind lange vorbei, denn die hier angegebenen Seiten sind eher Beispiele für den "Netzunrat", vor dem uns das Privatfernsehen ja schon immer gewarnt hat.

Es sind vor allem die politischen Extremisten, die das Netz als weitere Möglichkeit entdeckt haben, sich ihren Sympathisanten zu präsentieren. Links außen finden sich Seiten wie die der in Deutschland verbotenen Zeitschrift Radikal, und die Ultrarechte marschiert auf der Ernst Zündel Homepage.

Schon seit den 80er Jahren nutzen die Linken moderne Verbindungen, um sich selbst darzustellen und ihre Parolen zu verbreiten. Erst über sogenannte "Mailboxen", sprich elektronische Briefkästen, und später auch über das Internet. Dabei sehen die linken Extremisten das Internet als schnelle Möglichkeit, Propaganda zu verbreiten, Mitglieder zu gewinnen und zu Antifa-Aktionen aufzurufen. Des weiteren geht man so den deutschen Strafgesetzen aus dem Wege. So behauptet die "Autonome Antifa (M)" Göttingen in einer Presseerklärung, das sich verschärfenden politische Klima in Deutschland schränke die Möglichkeiten der "Autonomen Antifa (M)" ein, durch die etablierten Medien oder durch öffentlichkeitswirksame Aktionen am politischen Diskurs teilzunehmen; damit steige der Stellenwert des weitgehend zensurfreien Internet. Gegenüber bisher praktizierten Holzhammermethoden deutscher Staatsanwaltschaften habe sich das Internet aufgrund seiner technischen Struktur als auf Zeit uneinnehmbare Bastion erwiesen. Der Internet-Provider der "Autonomen Antifa (M)" befinde sich in den Niederlanden und unterliege damit nicht dem Zugriff deutscher Behörden. Und die Autonome Informationsgruppe Hamburg spricht sogar von einem Beitrag zur Schaffung einer linken Gegenöffentlichkeit, um die herrschenden Verhältnisse umzustürzen und alle Ideologien anzugreifen, die diese stützen. In der Internet-Ausgabe der Zeitschrift Radikal werden genaue Anleitungen zur Sabotage des Schienenverkehrs unter dem Titel "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art" angeboten.

Wer sich eingehend über den linken Sumpf informieren möchte , kann sich über "NADIR Info System" http://www.nadir.org im Internet alle Querverweise aufzeigen lassen. Antifaschismus, Antirassismus, Antimilitarismus, Antisexismus und weitere Anti-ismen findet man hier wohl geordnet. Doch sollte man nicht unbedingt auf Aktualität Wert legen. Die meisten Ereignisse und Veranstaltungen sind schon lange Geschichte. So gibt es immer noch unter der Rubrik "Aktuelle Veranstaltungen" Aufrufe zur Zerschlagung der "Neonazistischen Aufmärsche" vom 1. Mai 1998 in Leipzig am Völkerschlachtdenkmal. Wenn man das Jahr ändert, kann man es ja schon für 1999 stehenlassen. Oder auf den Seiten der Autonomen Antifa Heidelberg wird über die gezielte Störung des "Maiansingen" der Heidelberger Studentenverbindungen berichtet. "Letztlich gelang es den Burschenschaften nur unter massivem Polizeischutz, ihr ‘Maiansingen’ durchzuführen." Wer das alles so liest, bekommt schnell den Eindruck, die Antifa sei auf Aufmärsche, Liederabende, oder waffenstudentische Treffen angewiesen, um nicht ganz ihre Existenzberechtigung zu verlieren. Eigene Veranstaltungen findet man sehr selten in Terminkalendern der Anti-Gruppen, bis auf ein groß angekündigtes Antifa-Camp vom 3. bis 5. Juli 1998 in der Nähe von Göttingen.

Ein dogmatischer Linksaußen mag das Internet schon deshalb nicht, weil es von Amerikanern erfunden wurde. Und die Amis sind bekanntlich an allem schuld, vom Untergang des wahren Sozialismus in Nicaragua bis zu der Tatsache, daß die roten Gummibären einfach nicht mehr so gut schmecken wie früher. Das Internet ist für ihn nichts anderes als ein Brückenkopf des fortgesetzten Kulturimperialismus der konterrevolutionären Kräfte.

Auch die Rechten haben das Medium Internet für sich entdeckt. Gerade der WWW-Bereich gibt den Rechten ein Werkzeug an die Hand, das im Vergleich zu sonstigen Werbeträgern einerseits eine kostengünstige Variante darstellt, andererseits einen sehr umfangreichen Leserkreis erreicht. Die bislang von deutschen Rechten eingestellten Seiten lassen eine höhere Kreativität und Aktualität erkennen als bei den Linken. Die Inhalte werden in der Regel so formuliert, daß die rechtsextremistische Grundeinstellung erkennbar bleibt, jedoch keine Angriffsfläche für eine strafrechtliche Verfolgung geboten wird. Ausnahmen bilden die Homepage-Inhalte der "Wolfzerkers Oi-88/14" sowie "Adolf Hitlers Hass Seiten".

Die Idee der befreiten Zonen läßt sich unter www.stormfront.org/german.htm nachlesen. Besonders stark vertreten sind Skinheads und hier auffällig viele Hammerskins, die hauptsächlich aus England und Amerika eingestellt werden.

Man kann extremistische Gruppen ignorieren oder verbieten – nur verhindern kann man sie nicht.


 
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