© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Neue Politik
von Horst Mahler

Bewegt sich da was? Thorsten Thaler fordert die demokratische Rechte auf, sich "an einen Mehrheitsdiskurs" anzuschließen. Peter Krause sieht "Linke" und "Rechte" vereint in der "theoretischen Defensive". Die junge freiheit – als rechtsradikales Blatt verschrieen – fragt bei der "Linken" an, was sie "dem Radikalliberalismus, der Herrschaft des technischen Denkens und globalen Normativität des ökonomischen Faktums noch entgegenzusetzen" habe; fragt, für welche Inhalte die "Rechten" stehen, und meint, daß die üblichen Standardantworten nicht mehr weiterhelfen. Es geht also um einen neuen Politikbegriff. Auch die andere Seite setzt Signale: In der taz vom 11. April 1998 schreibt der "Ex-Terrorist" Johann von Rauch: "Wir sind festgefahren im traditionellen Denken und unfähig, das linke Weltbild weiterzuentwickeln". Die Ursache dafür sieht er in der "Vorstellung von einer dualen Welt und der damit verbundenen Ja/Nein-Logik, abgeleitet aus der Mathematik". Genau das meint Peter Krause mit "Herrschaft des technischen Denkens".

Selbstkritisch merkt von Rauch an: "Unser Wahrheitsbegriff führt zum Dogmatismus und Sektierertum, … Aus dem Materialismus wird der American Way of Life oder Lenins Spruch: ‘Machen wir aus der Sowjetunion eine einzige Fabrik’. Die Schwarz/weiß-Logik macht aus uns Menschen oder Schweine, Freund oder Feind, Sieg oder Tod." Mit der Infragestellung der "Herrschaft des technischen Denkens" bzw. der "Ja/nein-Logik" ist das Hauptquartier des Menschenfeindes bombardiert. Wenn wir auf diesem Weg voranschreiten und, wie Thorsten Thaler fordert, eine Gesprächskultur entwickeln, "deren Reifegrad sich vornehmlich in der gleichermaßen streitbaren wie konstruktiven Auseinandersetzung mit Andersdenkenden zeigt", werden wir uns erkennen. Danach werden wir uns nicht mehr feind sein. Wir werden wissen, wer wir sind. Dann wird es nicht schwerfallen, unsere gemeinsame Aufgabe zu sehen: Die über den Globus wabernden Finanzmassen dressieren, indem sie vielerorts Scheinblüten hervortreiben, die Regierungen. Gefangen in einem System der institutionalisierten Korruption, ist die politische Klasse unfähig, das Gemeinwohl vom Gewinnmaximierungsinteresse der privaten Kapitalsammelstellen zu unterscheiden. Skrupellos liefert sie die Volkswirtschaften an ein anonymes und unverantwortliches Geflecht von Spekulanten aus. Neues Denken führt zu Neuer Politik. Sie wird nichts anderes sein als die Befreiung der Idee der Nation aus der babylonischen Gefangenschaft des Zeitgeistes. Die von einem neuen Geist beseelte Nation wird die vermeintlichen Sachzwänge des Marktes brechen und das Leben des Gemeinwesens gegen das Spekulationskapital sichern.


 
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