© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Bundeswehr: Demonstranten versuchen Gelöbnis zu stören
Trillerpfeiffen im Regen
von Manuel Ochsenreiter

Nervös tritt der alte Mann vor der Tribüne von einem Fuß auf den anderen und hält sich die Ohren zu. Laute Sirenen und zahlreiche Trillerpfeifen bereiten ihm sichtlich Ohrenschmerzen. Seine Jeansweste ist übersät mit Buttons der Friedensbewegung. Die Veranstaltung der "Gelöbnix-Initiative" gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr vor dem roten Rathaus am 10. Juni ist bei weitem nicht so gut besucht, wie die Initiatoren sich erhofften. Von den angekündigten 5.000 Demonstranten erschienen ganze 1.000, die 2.500 Polizisten gegenüberstanden. "Wir waren damals nicht so laut, aber einfallsreicher", meint der alte Mann, der sich stolz als Veteran der Friedensbewegung outet. Mittlerweile hat er Oropax in seinen Ohren und trillert kräftig mit einer kleinen roten Pfeife mit.

Während ein paar hundert Meter weiter, weit außer Sichtweite, 332 frischgebackene Soldaten geloben, "die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen", klopfen sich an der Spandauer Straße Gysi, Trittin und Autonome gegenseitig auf die Schultern. Es geht "gegen die Militarisierung des öffentlichen Raumes" und dagegen bewaffnen sich einige Pazifisten schon mal prophylaktisch mit Stangen und Prügeln. Die einzigen sichtbaren Soldaten sind vier herumstolzierende Feldjäger, die mit wuchtigem Armrudern die ankommenden Busse einweisen. Auf der Bühne wird derweil mittelprächtiger Punkrock serviert. Gegen 15 Uhr, als die ersten Demonstranten den Beginn der Gelöbnis-Zeremonie erahnen, beginnt ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert. Eine Gruppe von 15jährigen Gymnasiastinnen aus Berlin-Charlottenburg ruft derweil den Polizisten "Haut ab!" entgegen. Sie kamen, "weil man da echt was machen muß gegen Krieg und die ganzen Scheiß-Uniformen". Trittin doziert derweil in eine Fernsehkamera, daß öffentliche Gelöbnisse ihre Wurzeln bei der Wehrmacht im Nazi-Deutschland hätten, und Gregor Gysi gesteht, daß er die öffentlichen Paraden der NVA auch nicht so okay fand. Die Gymnasiastinnen skandieren inzwischen: "Nie wieder Deutschland!" und bemühen Paul Celans Todesfuge ("Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"), die auf schwarzem Tuch den Polizisten entgegengehalten wird. Bemerkenswerte Szenen spielen sich aber auch am Rande der Kundgebung ab. Plötzlich werden "Nazi, Nazi!"-Rufe laut, und ein glatzköpfiger Bomberjackenträger wird von einer Horde quer durch die Demonstration gejagt. In letzter Sekunde erreicht er die Polizisten.

Ein Fotograf macht demonstrativ genaue Bilder von jedem einzelnen Polizisten. Die Beamten reagieren auf diese Zumutung gar nicht oder schauen verlegen auf den Boden. Auf den Protest-Fahnen sind die Bildnisse berühmter Friedensbewegter zu sehen. So flattern auf rotem Tuch Mao Tse Tung und Che Guevara. Pol Pot gibt es noch nicht als Fahne oder T-Shirt.

Gegen 15.30 Uhr schreitet die Polizei gegen den Lärm ein und drängt die Demonstranten ein Stück zurück. Nach deren Angaben zerstören die Uniformierten den Stromgenerator der Tribüne. Bevor die Situation richtig eskalieren kann, setzt ein Platzregen ein, der die meisten Demonstranten entweder nach Hause oder unter ein nahegelegenes Dach flüchten läßt. Die aufgefahrenen Wasserwerfer kommen daher gar nicht zum Einsatz. Gegen 16.30 Uhr wird die Demonstration aufgelöst. Nur vier ganz verwegene Protestler lassen sich von ihrer Mission nicht abbringen. Sie stellen sich um einen Polizisten auf, der den Verkehr regelt, und trillern mit ihren Pfeifen.


 
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