© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Sozialdemokratischer Sieg mit Fragezeichen: In Prag stehen schwierige Koalitionsgespräche an
Stabile Verhältnisse nicht in Sicht
von Rudolf Hilf

Man müßte Jaroslav Hasek sein, der nach dem Ersten Weltkrieg die Geschichte vom "Braven Soldaten Schwejk" schrieb, über den die halbe Welt lachen konnte, um einen treffenden Kommentar zu den tschechischen Wahlen zu schreiben. Bezeichnend ist der Ausspruch eines sozialdemokratischen Abgeordneten: "Wir haben einen Sieg erlitten."

Gesiegt haben die Sozialdemokraten (CSSD) mit 32 Prozent. Unerwartet stark aufholen in der Gunst der Wähler konnte der politisch zuvor tief gefallene Václav Klaus mit seiner ODS, die 28 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Drittstärkste Kraft bleiben mit 11 Prozent die Kommunisten, die allerdings niemand in einer Koalition haben will. Als potentielle Mehrheitsbeschaffer kommen demnach nur die Christliche Volkspartei (KDU-CSL) mit 9 Prozent sowie die Freiheitsunion (US) mit ebenfalls 9 Prozent in Frage. Die Exponenten dieser beiden Parteien waren es, die Ende 1997 Klaus stürzten und damit die jetzigen vorgezogenen Neuwahlen notwendig machten. Die Freiheitsunion mit Finanzminister Pilip und Ex-Innenminister Ruml als "Aushängeschildern" ist sogar ein Spaltprodukt der ODS.

Theoretisch denkbar wäre es, daß die drei im neuen Parlament vertretenen bürgerlichen Parteien eine knappe Mehrheit von 102 der 200 Parlamentssitze zusammenbringen. Vorstellbar ist auch, daß die Sozialdemokraten und die Christlichen eine Minderheitsregierung mit zusammen 94 Sitzen bilden – unter Duldung einer anderen Partei. Sowohl die ODS als auch die US zeigen sich jedoch hierzu unter keinen Umständen bereit. Die Christlichen wiederum würden keine Duldung einer Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten durch die Kommunisten akzeptieren. Was also zu erwarten ist, sind langwierige Koalitionsverhandlungen, bei denen nur eines als sicher gelten kann: Die Christlichen werden in jeder Regierung sitzen. Es ist ihre "politische Linie" – ähnlich wie bei der deutschen FDP – bei der Verteilung der Posten in jedem Fall mit von der Partie zu sein. Die einzige wirkliche politische Stabilisierung in Form einer großen Koalition von CSSD und ODS ist (anders als in Deutschland) sehr unwahrscheinlich. Diese würde schon an den Vorsitzenden Klaus und Zeman scheitern, die sich nicht ausstehen können, aber auch an den teils gravierenden Meinungsverschiedenheiten.

Zwei Lichtblicke gibt es bei diesen Wahlen: Die vermutlich kryptokommunistische Rentnerpartei (DZJ) und die rassistisch-chauvinistischen, von Deutschen- und Zigeunerhaß geprägten Republikaner des Miroslav Sládek scheiterten an der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Letztere erreichten nur etwa vier Prozent, obwohl Sládek in Massenversammlungen einen überaus großen Zulauf verbuchen konnte. Seine wichtigste Propagandaformel war die Warnung vor Deutschland und besonders vor den "Machenschaften" der Sudetendeutschen. Die EU ist aus der Perspektive des Republikaner-Chefs ein deutsches Machtinstrument, das die Schaffung von Euroregionen mit sich bringt und deren Vertreter die Regierung in Prag dazu drängen werden, die Benesch-Dekrete aufzuheben, was letztlich die "Auflösung des tschechischen Staates" bedeuten würde. Die Schürung derartiger Ängste vor den Deutschen hat zur Überraschung politischer Beobachter jedoch nicht ausgereicht, die extremistische Partei wieder ins Parlament zu bringen. Immerhin hatte eine repräsentative Meinungsumfrage der Prager Agentur Median im April noch ergeben, daß 83 Prozent der befragten Tschechen die Vertreibung der Deutschen gutheißen.

Eine weitere Umfrage, die Radio Prag direkt nach den Wahlen unter Jugendlichen durchführte, ergibt ein anderes, nicht minder aufschlußreiches Bild der Stimmung im Lande. Dabei waren Kommentare wie der folgende zu hören: "Ich bin nur wählen gegangen, damit sich hier mal etwas bewegt. Eigentlich bin ich jetzt eher traurig und hoffnungslos (...), denn es wird sich ja sowieso nichts ändern." Oder: "Ich war wählen, damit nicht die Republikaner und die Kommunisten gewinnen, aber sympathisch war mir keine Partei, denn ich traue keinem der Politiker." Typisch ist auch das Bekenntnis: "Ich war nicht wählen (...), es gab sowieso keine Partei, die ich hätte wählen wollen."

Während Sládek die Furcht vor den Deutschen zum Stimmenfang instrumentalisieren wollte, schlachtete Klaus – erfolgreich – die latenten Ängste vor einer Renaissance des Sozialismus aus. Und dies, obwohl nach Aussage Präsident Havels der ODS-Vorsitzende derjenige ist, der den Karren in den Dreck gefahren hat. Václav Klaus war seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten nach der Teilung der Tschechoslowakei in zwei unabhängige Staaten der kapitalistische Messias, von dem die Tschechen baldigen Wohlstand und den großen Aufschwung erwarteten.

Nicht nur eine Reihe von Skandalen hat dieses Bild später getrübt, sondern vor allem die Tatsache, daß die Masse der einfachen Menschen im sozialen Bereich immer mehr Einbußen erleiden mußte. Die lange Zeit von der Führung in Prag mit einigem Aufwand betriebene Selbststilisierung als Musterreformland, die man auch in Bonn kritiklos wiedergab, hat sich als Märchen erwiesen. Die Tschechische Republik ist inzwischen ökonomisch in die hinteren Ränge der Reformländer im östlichen Mitteleuropa abgerutscht.

Nach Ansicht der OECD befindet sich Tschechien inmitten einer schweren Sanierungskrise. Einer OECD-Prognose zufolge wird das Wirtschaftswachstum schon in den nächsten Jahren nicht halb so hoch ausfallen wie in Polen. Ferner müsse davon ausgegangen werden, daß neue Einsparungen und Steuererhöhungen nötig sind. Die Arbeitslosigkeit wird 1999 die Rekordmarke von 7 Prozent erreichen (Stand Ende Mai 1998: 5,3 Prozent).

Wie aber will ein Staat mit all dem fertig werden, der durch die jetzigen Wahlen zunächst in zwei Lager gespalten ist und bei dem nur eines gewiß erscheint: Eine stabile Regierung wird es auf absehbare Zeit nicht geben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen