© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
US-Interessen in der Türkei: Fethullah Gülen und der "gemäßigte Islam"
Dubioser Wanderprediger
von Orhan Candar

Weltfremdes Militär" (Frankfurter Rundschau), "Peinlicher Kreuzzug gegen die Islamisten" (Süddeutsche Zeitung) oder "Ordnungswut der Generäle" (Stuttgarter Nachrichten). – Derartige Überschriften zur politischen Rolle der türkischen Armee finden sich in diesen Wochen in der deutschen Presse wieder in großer Zahl.

Die Islamisten in der Türkei scheinen demgegenüber viele Sympathien zu genießen, zumal diese eigenartig anmutende Liaison offenbar auf Gegenseitigkeit beruht. Gern zitieren die Printmedien und privaten Fernsehsender der Islamisten mittlerweile west- und mitteleuropäische Orientalisten und Islam-Experten oder laden diese zu Symposien ein, um mit ihnen angeregt über die "zivile Gesellschaft" zu plaudern. Wurde bis vor wenigen Jahren die Demokratie noch als "Aufruhr gegen die göttliche Ordnung" verdammt, so ist sie auf einmal, wie es Necmettin Erbakan ausdrückte, "genauso wichtig für die Menschheit wie Wasser und Brot". Verkörperte die Europäische Union aus der Sicht der Islamisten noch Mitte letzten Jahres das "gräßliche Gesicht der Kreuzzügler", so bemühen die maßgeblichen Herrschaften, seit ihre Wohlfahrtspartei (Refah) verboten ist, plötzlich den einst lauthals verteufelten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Der wohlkalkulierte Sinneswandel der Radikalen hat allem Anschein nach wohl am meisten die deutschen Berichterstatter "vor Ort" beeindruckt. Schon prophezeit manch einer die Geburt einer islamisch-sozialen Union am Bosporus. Und während die Fachwelt noch über eine "demokratische Entfaltung des Islamismus" streitet, wurde einer kurzerhand zur Verkörperung des "europäischen Islams in der Türkei" erklärt: Fethullah Gülen, der "ehrwürdige Meister". Seiner Vita zufolge soll er am 10. November 1938 geboren sein, also genau am Todestag Mustafa Kemals – ein zurechtgerücktes Wunder, das eine subtile Botschaft vermitteln soll. In Wirklichkeit weiß man selbstverständlich nicht, wann genau der "Hodscha Efendi" zur Welt kam. Er selbst meinte vor etlichen Jahren, sich bloß an seinen Jahrgang erinnern zu können – und nannte 1937.

Gülen zählt, so Rainer Hermann in der FAZ vom 28. März, "zu den einflußreichsten Persönlichkeiten der türkischen Gesellschaft (...), und doch ist er der kemalitischen Elite der Türkei ein Dorn im Auge". Aus den 80er Jahren noch als "heulender Phantast" mit einem kaum verständlichen Singsang aus arabischen und persischen Wortfetzen und als Vertreter finsterster Dogmen in Erinnerung, gelang Gülen eine steile Karriere, die allein durch Gottes Beistand wohl schwerlich zu erklären ist.

Offiziell verfügt der "Wanderprediger" außer seiner bescheidenen Bibliothek über keinen irdischen Besitz und ist lediglich Vorsitzender der "Journalisten- und Schriftstellergewerkschaft". Mit anderen Worten: Gülen scheint weltweit der einzige Gewerkschaftsführer zu sein, der sich ganz der "Toleranz" und dem "interreligiösen Dialog" widmet. Anfang März im Vatikan empfangen und gelobt, pflegt er außerdem regelmäßigen Kontakt zum Patriarchen Bartholomaios und zum Jerusalemer Oberrabbiner Eliyahu Bakshi Doron. Zu seinen Bewunderern und Stammgästen zählen Popsänger ebenso wie ehemals marxistische Regimekritiker, sozialdemokratische Politiker und nicht zuletzt Geschäftsleute.

Obwohl Hodscha Efendi sich als besonnener, harmoniebedürftiger Geistlicher gibt und von vielen auch als ein solcher gefeiert wird, bildet er in Wahrheit nur die Fassade eines Imperiums. Von Rumänien bis Thailand verwaltet der bettelarme Wanderprediger sage und schreibe 270 Gymnasien; ihm gehört ein privater Fernsehsender in der Türkei, der per Satellit seine Botschaften weltweit verbreitet, eine Wochenschrift sowie die auflagenstarke Tageszeitung Zaman, die nicht nur in der Türkei erscheint, sondern auch – in russischer, usbekischer und aserbaidschanischer Sprache – auf dem Gebiet der Russischen Föderation. Eine "islamische" Bank ist ebenso Teil des weltlichen Vermögens des "Meisters" wie ein Netz von Export- und Importunternehmen.

Was jedoch die Militärs und politisch interessierte Türken an Gülen stört, sind weniger seine tränenreichen Predigten oder "Toleranzbotschaften" in alle Himmelsrichtungen. Es sind vielmehr seine politischen Ziele, genauer: der Einfluß einer fremden Macht als der eigentlichen Quelle des durch "Allahs Segen" so reichlich sprudelnden Kapitals. Nach einem Bericht der "Arbeitsgruppe West", einer zur Beobachtung islamistischer Aktivitäten eingerichteten Abteilung innerhalb des Generalstabs, hätte Hodscha Efendi eigentlich längst Konkurs anmelden müssen, da die Unkosten allein seiner Auslandsschulen die Spenden der Anhänger um etliche zehn Millionen Dollars jährlich übersteigen. Hinzu kommen einige höchst merkwürdige Umstände, etwa das Faktum, daß hunderte amerikanischer Englisch-Lehrer in Gülens Schulen vertraulichen Berichten zufolge ohne jedes Gehalt arbeiten, oder daß amerikanische Missionsanstalten den "Fethullacis" in den mittelasiatischen Turkrepubliken etliche Neubauten unentgeltlich zur Verfügung gestellt haben.

Daß eine derart großzügige Hilfe dem "Wanderprediger" im Rahmen des "interreligiösen Dialogs" zuteil wird, erscheint den türkischen Behörden nicht gerade glaubwürdig. Auch der Beschluß des B‘nai Brith, die gesammelten Werke des Hodscha Efendi in englischer Sprache herauszugeben (kostenlos!), versetzt Kenner in Erstaunen, zumal Gülen in seinen Predigten wenig Schmeichelhaftes über das "Weltjudentum" (O-Ton Gülen) zu berichten pflegte.

Die ausländische Förderung des Gülen-Vereins, der sich vor allem in Mittelasien betätigt, hängt offensichtlich mit dem US-amerikanischen Anliegen zusammen, dem schiitischen und dem nicht immer zuverlässigen wahabitischen Islam eine "gemäßigte" Form dieser Religion entgegenzusetzen. An einer mächtigen pseudoreligiösen "Non-Government-Organization" mit starken Bindungen an die Vereinigten Staaten kann der türkische Staat sicherlich kein Interesse haben, wenn diese die Türkei zu einem "Modellfall" für den Kaukasus und Zentralasien entwickeln und wie ein Laboratorium mißbrauchen will.

Die "sinnlosen" Säuberungsmaßnahmen der türkischen Militärs bekommen allein schon dadurch einen Sinn, daß Hodscha Efendi seit Jahren unermüdlich daran arbeitet, die Streitkräfte zu unterwandern. Dies ist wohl der wichtigste Anlaß für das Pentagon, die türkische Armee in letzter Zeit des öfteren an "rechtsstaatliche Regeln" zu erinnern. Gülen selbst bestreitet natürlich jeden Wunsch "irdischen Inhalts". Er würde, wenn es nötig sein sollte, "den Rest seines Lebens in der Wüste verbringen und unter Tränen die göttlichen Zeichen der Natur beschauen." Sein Sprachrohr Zaman jedoch hält von einem solchen Eremitendasein nicht viel, und Fehmi Koru, der Chefideologe des "Meisters", lamentiert über "die Defizite der türkischen Demokratie". Das wichtigste Manko sei der "inakzeptable Zustand", daß die türkische Armee nicht der zivilen Regierung unterstehe.

Was die fundamentalistischen Demokratie-Liebhaber nun "Defizit" nennen, ist im Kern das Scheitern des jüngsten Versuchs, der Armee eine Washington-hörige Ausrichtung zu verpassen. Daß sich die deutschen Türkei-Korrespondenten einstimmig mit den Novizen des Hodscha Efendi über das wachsame Auge der türkischen Armee entrüsten, ist aufschlußreich, hat aber mit demokratischer Sensibilität ebensowenig zu tun wie die Forderung des State Departements nach einem "gemäßigten Islam" mit einem selbstlosem Hang zum Mysterium.


 
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