© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Stolz der Opfer
von Peter Krause

Eine Fahrt durch die Berliner Republik am Samstagvormittag. In der S-Bahn stimmen sich "Antifaschisten" wenig friedlich auf die Demonstration für einen "Politik-Wechsel" ein; in der Straßenbahn Richtung Osten mimt die Berliner PDS-Spitze Zuversicht. Geht ihr Konzept auf? Zwar stagniert die Partei, hat ihr Wählerreservoir ausgeschöpft, aber die Strategie, sich als unverzichtbarer linker Bündnispartner unentbehrlich zu machen, zeitigt Erfolge. Schon dominieren ihre Aktivisten linke Großveranstaltungen; die "Erfurter Erklärung", eine Verlautbarung von Intellektuellen verschiedener Couleur für einen Wechsel in Bonn unter Einschluß der PDS, zeigt die Ausweglosigkeit, in der sich viele "Vordenker" befinden. Was die Partei der bloßen Negation programmatisch nicht zu bieten hat, kaschiert sie erfolgreich mit immer größerer Dreistigkeit. In Mecklenburg-Vorpommern etwa, wo sie die Neubesetzung des Stasi-Landesbeauftragten verhindern will, fordert sie statt dessen eine Stiftung, die sich um alle Opfer "gleichberechtigt" kümmern soll: gemeint sind vor allem "Nach-Wende-Opfer".

Weiter geht die Fahrt nach Berlin-Hohenschönhausen, wo eine Internationale Konferenz von Opferverbänden zur "Aufarbeitung kommunistischer Gewaltherrschaft in Europa" tagt. Eine frühere Welt? Grauhaarige Frauen und Männer, einige ehemalige DDR-Bürgerrechtler, wenig Presse; viel Zorn über das öffentliche Desinteresse, gelegentlich Verbitterung und, angesichts der Machtpositionen vieler Wendekommunisten, das offene Bekenntnis zum Antikommunismus, vor allem das Beharren darauf, daß die Auseinandersetzung mit der roten Gewaltherrschaft eine unerläßliche Voraussetzung für Rechtsstaatlichkeit darstelle; doch zugleich das Wissen, kaum noch gehört zu werden in einer Zeit zynischer Verharmlosung, des Vergessens und Verdrängens. Die totalitäre Linke gehört zwar nicht zu den Siegern der Geschichte, aber auch nicht zu den Verlierern. Es könne "einen ehemaligen Kommunisten ebensowenig geben, wie es einen ehemaligen Neger gibt", sagte ein Bulgare sarkastisch. Angesprochen ist eine geistige Grundhaltung.Wer die Vertreter aus Osteuropa reden hörte, etwa den Balten, der 37 Jahre in GULag und Verbannung verbracht hat, fühlte sich angesichts der infamen Rechtfertigung kommunistischer Diktatur, wie sie in unserer politischen Klasse gang und gäbe ist, beschämt. Aber angesichts der abgründigen Ironie, der Würde, des zuversichtlichen Stolzes der Verfolgten des Kommunismus konnte man sich damit trösten, daß die extreme Linke zwar noch institutionell fest im Sattel sitzt, daß sie aber die Hegemonie über Moralität und Humanität endgültig verloren hat. Insofern barg das Treffen der Opferverbände doch viel Zukunft.


 
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