© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/98 03. Juli 1998

 
 
Zuwanderung: Die Integration von Ausländern wird zu einer politischen Schlüsselfrage
Universal, global, total egal
von Dieter Stein

Ausländerfeindlichkeit, Rassismus? Um Gottes Willen! Aber den eigenen Nachwuchs auf Schulen schicken, in denen mehr als ein Drittel der Kinder nicht-deutscher Herkunft sind?" Dies schrieb Frank Jansen im Tagesspiegel kürzlich über das "linksliberale und alternative Milieu" in der Hauptstadt. In Berlin ist der Ausländeranteil an Schulen in einigen Bezirken weit über 50 Prozent gestiegen. Statt Integration haben sich Ghettos mit enormen sozialen Problemen gebildet.

Die ersten Zuwanderer kamen Ende der fünfziger Jahre als Gastarbeiter aus dem Süden Europas und der Türkei, um Arbeitskräftemangel auszugleichen. 1974 verhängte die Regierung Schmidt/Genscher erfolglos einen Anwerbestopp. Die Familien der ersten Zuwanderer leben hier bereits in der dritten Generation. Der anhaltende Zuzug wuchs den politisch Verantwortlichen im Laufe der Jahre über den Kopf wie Goethes Zauberlehrling die entfesselte Flut. Angeschwollen ist die Zahl der Ausländer seit Anfang der 80er Jahre zusätzlich durch Familiennachzug, systematische Eheschließungen mit Zurückgebliebenen und durch Asylanten. Ende 1996 stellen 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland 9 Prozent der Wohnbevölkerung.

Das Grundgesetz ist nicht die Verfassung eines Einwanderungslandes. Nach dem Staatsangehörigkeitsrecht mußte man einst Spracherwerb und politisch-nationales Bekenntnis nachweisen, um Staatsangehöriger zu werden. Inzwischen sind die Hürden gesenkt worden. So werden derzeit über 300.000 Ausländer jährlich eingebürgert. Regierung und Opposition feiern die Zunahme als politischenErfolg, als wäre die Paß-Übergabe ein Nachweis gelungener Integration.

Können Ausländer so einfach zu Deutschen werden? Die Integration der 20.000 Hugenotten in Preußen dauerte letztendlich fast 200 Jahre – dabei handelte es sich um eine überschaubare Zahl von Angehörigen eines gebildeten, hochqualifizierten, französischen, protestantischen Bürgertums, nicht um unbeschränkte Zuwanderung aus einer überwiegend fundamentalistisch geprägten, fremden Lebenswelt, die kulturell geringe Berührungspunkte zu Deutschland hat.

Dem "Jus sanguinis", nachdem man Deutscher durch Abstammung ist und nicht durch den Geburtsort ("Jus soli"), wird angelastet, Integration zu hemmen. Das ist falsch. Integration setzt vielmehr ein Konzept dessen voraus, in das integriert werden soll. Die Vorstellung einer notwendigen Homogenität eines Staatsvolkes wird irrtümlicherweise stets mit "völkischer" Autarkie verwechselt, die Einwanderung ausschließe. In Wirklichkeit geht es um das, was der Berliner Innensenator Schönbohm angesichts der ethnisch-sozialen Spannungen in der Hauptstadt kürzlich benannte: "Das Vorhandensein eines Konsenses über die Leitkultur ist eine Voraussetzung für den inneren Frieden in Deutschland."

Derzeit existiert keine Idee der Integration, sondern nur eine Idee der Preisgabe nationaler Identität. Die Verfechter einer "multikulturellen Gesellschaft" haben deshalb lediglich eine Idee der Desintegration. "Die Immigration aus Osteuropa und den Armutsregionen der Dritten Welt (wird) die multikulturelle Vielfalt der Gesellschaft steigern", proklamiert Jürgen Habermas. Nüchterner liest man es bei Daniel Cohn-Bendit: "Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt."

Die multikulturelle Gesellschaft ist ein polemischer Begriff gegen den demokratischen Nationalstaat. Einerseits nimmt man den Verlust nationaler Identität der Zuwanderer in Kauf, ohne etwas an ihre Stelle zu setzen. Andererseits soll aus dem Nationalstaat Deutschland ein multikultureller Bundesstaat werden. Zuwanderer sollen sich allenfalls zu "universalen" Werten bekennen. Wie soll man sich aber in etwas "integrieren", was universal ohnehin gilt?

Deutschland ist auch durch Einwanderer aus Nachbarvölkern groß geworden. Es bestand aber immer eine Vorstellung, in welche Kultur, in welche Traditionen, in welche Gemeinschaft sich diejenigen einfügen sollen, die Bürger des Landes werden. Und es existierte eine politische Vorstellung, wen man aufnehmen will und wen nicht. Und vor allem, wie viele. Ein Staat, dem die Idee der Nation abhanden gekommen ist, ist nicht nur gegen Zuwanderer integrationsunfähig, sondern auch gegenüber seinen bisherigen Bürgern.


 
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