© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/98 03. Juli 1998

 
 
Tarifpolitik: Öffentliche Aufträge als staatlicher Willkürakt
Wohlverhalten ist gefragt
von Roland Schroeder

Seit 1995 koppelte das Land Berlin die Vergabe öffentlicher Bauaufträge an die Verpflichtung der Unternehmen, ihre Mitarbeiter nach Tarif zu entlohnen. Damit, so die Begründung, sollten Folgekosten der Arbeitslosigkeit vermieden, die Qualität öffentlicher Aufträge gesichert und eine gesunde Struktur der örtlichen Baufirmen erhalten werden. Da die Tariflöhne zwischen 20 und 28 Mark je Stunde liegen, der gesetzliche Mindestlohn aber nur knapp 16 Mark beträgt, blieben viele Firmen ohne Chance auf öffentliche Aufträge. Dabei war der Mindestlohn bewußt nicht höher angesetzt worden, um die ohnehin dramatische Pleitewelle in der Baubranche nicht noch zu verschärfen. Welchen Sinn hat es aber, gerade jene Firmen, deren wirtschaftliche Lage schon am prekärsten ist, von öffentlichen Aufträgen auszuschließen? Zynisch könnte man festhalten, daß eine gesunde Unternehmensstruktur insofern erreicht wird, als die weniger gesunden Unternehmen mangels öffentlicher Aufträge vom Markt verschwinden. Auch der Zusammenhang zwischen Höhe der Entlohnung und Qualität der Bauausführung konnte vom Land Berlin nicht belegt werden. Dementsprechend erklärte der Kartellsenat des Berliner Kammergerichts am 20. Mai die Praxis, öffentliche Bauaufträge an die Abgabe der Tariftreue-Erklärung zu koppeln, für rechtswidrig. Dieses Urteil aber kam den Ländern sehr ungelegen, denn Berlin ist kein Einzelfall. Immer mehr Bundesländer wollen die Vergabe öffentlicher Aufträge vom unternehmerischen Wohlverhalten in immer unterschiedlicheren Bereichen abhängig machen: der Schaffung von Ausbildungsplätzen, der Einstellung von Langzeitarbeitslosen, der Erfüllung von Frauenquoten, der Auftragsvergabe an Behinderte, der Berücksichtigung von Subunternehmen aus ganz bestimmten Regionen, der Verwendung ökologischer Baustoffe…

Auch unter Haushaltsgesichtspunkten ist eine solche an wirtschaftsfremden Erwägungen orientierte Vergabepraxis zu hinterfragen. Doch nur das Bundeskartellamt macht noch Front gegen die zunehmenden staatsdirigistischen Einflußnahmen, die mit Zustimmung der Gewerkschaften und großer Teile der Bauunternehmerschaft erfolgen. Die Zustimmung der Unternehmer ist dabei nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. In den letzten Jahren wurden enorme Überkapazitäten aufgebaut. Der Bauboom verstellt den Blick für die Marktrealitäten. Die Baubranche fühlte sich als Insel der Glückseligen. Schließlich konnte eine Straße nicht in Korea asphaltiert oder ein Haus in Portugal gebaut und dann nach Deutschland umgesetzt werden. Heute asphaltiert der Portugiese in Deutschland, und die Bauwirtschaft versteht die Welt nicht mehr.

Es war kein Zufall, daß die Metall- und Textilarbeitgeber schon gegen das Entsendegesetz Sturm liefen. Sie haben in ihren Branchen den Strukturwandel hinter sich gebracht, den die Bauindustrie noch immer hofft, umgehen zu können.

Andere Branchen haben die Herausforderungen des internationalen Marktes angenommen und die eigene Stellung sogar ausgebaut – trotz deutlich höherer Lohnkosten. Die Politik aber glaubt, die Baubranche erfolgreich vor dem internationalen Markt abschotten zu können. Selbst unliebsame Konkurrenz aus anderen Bundesländern möchte man der regionalen Bauwirtschaft am liebsten vom Hals halten. Ganz in diesem Sinne einigte sich am 29. Mai der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat, daß künftig jedes Bundesland wirtschaftsfremde Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge aufgrund eigener landesgesetzlicher Regelungen festlegen kann. Im Ergebnis wird das zu einem kleinstaaterischen Vergabe-Flickenteppich in Deutschland führen, der die Bürokratie aufbläht, der Behördenwillkür Tür und Tor öffnet und länderübergreifende Auftragsbemühungen deutlich erschwert. Staatliche Instanzen berücksichtigen bei ihren dirigistischen Eingriffen in unternehmerische Entscheidungen die Forderungen kleinster Randgruppen. Das Interesse des Verbrauchers an einer großen Zahl möglichst preiswerter Anbieter aber bleibt auf der Strecke. Die Diskriminierung deutscher Firmen wird zudem bewußt in Kauf genommen, da viele dieser sachfremden Kriterien gemäß EU-Recht von ausländischen Firmen nicht eingefordert werden dürfen. Zu Lasten deutscher Arbeitsplätze werden ausländische Anbieter privilegiert. Das ist um so bedauerlicher, als unter das Vergaberecht in Deutschland ein Auftragsvolumen von rund 200 Milliarden Mark jährlich fällt.


 
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