© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Meinungsumfragen: Politiker reagieren auf "Rechtsdruck" mit pädagogischen Maßnahmen
Das bevormundete Volk
Dieter Stein

In Brandenburg führte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Mai eine Umfrage im Auftrag der Potsdamer Staatskanzlei unter 1000 Bürger durch. "Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen unsere Befürchtungen", erklärte bei der Vorstellung der Umfrage der Chef der Staatskanzlei Jürgen Linde (SPD). Schlagzeile der Berliner Zeitung: "Mehr als die Hälfte ist gegen Ausländer". Ministerpräsident Stolpe spricht von einer "akuten Vergiftungsgefahr in der Gesellschaft", die Berliner Morgenpost von einer "als unheilbar angesehenen Krankheit" und von "großem rechtsextremen Bodensatz".

Auf welche Fragen hatten die Brandenburger nun eigentlich wie geantwortet? Die Kernfragen lauteten: "Ausländer mißbrauchen die Leistungen des Sozialsystems" (Ja: 57 %, Nein: 43 %), "Ausländer verschärfen die Arbeitslosigkeit" (Ja: 48 %, Nein: 52 %), und: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" (Ja: 56 %, Nein: 44 %). Es sind Suggestivfragen, die tendenziell richtige Aussagen beinhalten, die nur in ihrer pauschalen Form falsch sind. Die Kommunen stöhnen unter der besonders hohen Zahl von Ausländern, die Ansprüche an die Sozialhaushalte stellen. Der Anteil arbeitsloser Ausländer ist höher als der der Deutschen. Und jeder normale Mensch ist stolz auf sein Land – na und? In Frankreich sind 70 Prozent stolz darauf, Franzosen zu sein!

Staatsminister Linde kündigte an, es werde mit "wachsendem Problembewußtsein" nunmehr "nachgesteuert". Seine Hoffnungen gipfeln in dem Satz: "Wir wollen eine Umprägung bei der schweigenden Mehrheit erreichen." "Tolerantes Brandenburg" ist der Titel für ein "Handlungskonzept der Landesregierung gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit". Gebündelt werden soll 34 Maßnahmen, besonders pädagogische Projekte "gegen Rechts". Gesamtkosten bis Ende 1999: 3,8 Millionen DM. "Mobile Einsatzgruppen gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit" (Mega) sollen noch schneller einschreiten.

In der Woche äußerte sich kürzlich Charlotte Wiedemann besorgt über den "Rechtsruck" unter Jugendlichen in den neuen Bundesländern und stößt hierbei in dasselbe Horn: Es gebe eine "Enttabuisierung" des Rechtsradikalismus, "diese Jugendlichen" treibe "keineswegs nur vage Lust auf Protest, auch keine richtungslose Zukunftsangst, sondern unter ihnen verfestigen sich ausländerfeindliche und nationalistische Einstellungen, meßbar, fühlbar, hörbar." Auf die Idee, daß die Meinungsäußerungen bei Meinungsumfragen auf reale politische Probleme zurückzuführen sind, die die Menschen gelöst sehen wollen, kommt weder Frau Wiedemann, noch der Chef der Brandenburger Staatskanzlei.

Der Jenaer Psychologe Wolfgang Frindte hat jüngst – bezogen auf eine andere Studie – besonnenere Analysen und Bewertungen des Rechtsradikalismus unter Jugendlichen angemahnt. "Wir haben es mit einer besorgniserregenden Tendenz zu tun", meinte Frindte, "aber zur Panikmache besteht kein Grund." Vielmehr fühlten sich Jugendliche von der Politik massiv vernachlässigt. "Wir müssen sehr umsichtig mit diesen empirisch-sozialwissenschaftlichen Statistiken umgehen", erklärte Frindte, "weil die Gefahr bewußt provozierender, verfälschender Angaben bei den Befragten sehr hoch ist." Das ist es!

Was von Politikern und Medien verlangt werden kann, ist, daß sie die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Es gibt eine objektive Angst vor der ungebremsten Einwanderung. Die Abkoppelung der politischen Entscheidungen im fernen Bonn von den konkreten Sorgen und dem demokratischen Willen der Bürger wird gerade in der Einwanderungsfrage besonders bewußt wahrgenommen.

Die Bürger wollen die ungebremste Zuwanderung nicht. Sie wollen die Anonymisierung politischer Prozesse und Entscheidungen zwischen Bonn und Brüssel nicht. Sie wollen die nationale Entfremdung nicht. Sie wollen klare Entscheidungen zu Problemen der Inneren Sicherheit und zur Lösung sozialer Probleme.

Das ist nicht zu verwechseln mit einem blinden Ruf nach dem "starken Staat", der dem Einzelnen alle Verantwortung und Sorgen abnimmt. Es ist die Forderung nach einem Staat, der seiner demokratischen Verantwortung nachkommt. Seine Vertreter sind Diener des Volkes und nicht die Obersten Schulmeister, die das Volk pädagogisch zu belehren haben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen