© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
CD: Industrial
Tanzbodenfüller
Ulli Baumgarten

Wie kaum ein anderer Musikstil zeichnet sich die "Schwarze Szene" durch Kreativität und Vielseitigkeit aus. Kaum ein Musiker, der nur in jeweils einer Band spielt und dabei nur einen Stil bevorzugt, viele hingegen, die sogar noch in anderen Bereichen tätig sind, sei es als Maler, Dichter oder Designer. Eines dieser Multitalente ist der Österreicher Richard Lederer, der neben seiner Tätigkeit bei Weltenbrand und Whispers in the shadow vor allem durch seine Gruppe Die verbrannten Kinder Evas bekannt wurde. Während letztere aber musikalisch in Richtung Neoklassik tendieren und diese mit mittelalterlichen Klängen vermischen, so daß eine eigene Form der Neoromantik entsteht, beschreitet Lederer mit seinem 1994 gegründeten Projekt Ice Ages einen vollkommen anderen Weg und überrascht seine Zuhörer aufs Neue. So entpuppt sich die CD "Strike the ground" als harte EBM (Electronic Body Music) à la Dive oder The Klinik, vermischt mit Dark Wave- und Industrial-Einflüssen. Während aber gerade EBM auf der Stelle tritt und nur noch sich selbst perpetuiert, schafft es Lederer, einer in die Jahre gekommenen Musikrichtung neues Leben einzuflößen. Neben den EBM-üblichen Soundgewittern und der verzerrten Stimme hört man geradezu mystisch anmutende Klänge. Lederers Vorteil ist sicherlich, daß er nicht nur Elektrotechniker ist, sondern auch konventioneller Musiker, und daher einem Lied noch eine wirkliche Struktur geben kann, außerdem seinen Musikcomputer beherrscht und nicht von diesem beherrscht wird, was dann gewöhnlich zu den austauschbaren Viva- und MTV-Klängen führt.

Ebenfalls aus dem Hause M.O.S. Records (Altenbach 24a, 9490 Vaduz, Fürstentum Liechtenstein) kommt die Berliner Gruppe Manipulation. Im Gegensatz zu den eher ruhigen Ice Ages liegt bei der CD "Tumor" von Manipulation der Schwerpunkt auf EBM als tanzbarer Form. Zwar hat man diese Art der Musik schon oft gehört, ihr geht also jede Form von Innovation ab (wobei sich natürlich die Frage stellt, ob Innovation um der Innovation willen überhaupt Sinn macht), aber die Qualität der Musik spricht für sich. Ich habe selten eine CD gehört, die es so wie "Tumor" schafft, aber auch wirklich jedes Lied zum Tanzbodenknüller und -füller zu machen. Das ist Eletcronic Body Music in Reinkultur!

Aus der rührigen Dresdner Heidenszene kommen Voxus Imp., die schon mit einem Stück auf dem Leni Riefenstahl-Sampler vertreten waren. Während mich dieses Lied ("Donnerstag") nicht sonderlich beeindruckte, weil es zu maniriert und die "Botschaft" einfach zu plakativ war, muß ich meine Meinung über Voxus Imp. anläßlich von "Idafeld" (keine CD, sondern, wie in der Industrialszene häufig, eine LP; erhältlich bei Mjölnir Tonkunst) korrigieren. Was die Gruppe hier bietet, wirkt wie aus einem Guß. Obwohl die Musik in die Industrial-Rubrik fällt, begehen Voxus Imp. niemals den Fehler so vieler Industrial-Gruppen, nur den puren Krach in Töne zu setzen und CDs/LPs zu produzieren, die man sich höchstens zur Hälfte anhören kann, während man die andere Hälfte in einem Baggersee versenken möchte. Die Musik wechselt zwischen harten Elektro- und Fanfarenklängen und wird immer wieder von deutschen Texten unterbrochen, die sich allesamt auf heidnische Tradition berufen, denen man aber auch lauschen kann, wenn man eher zum Christentum tendiert.


 
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