© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Kolumne
Figuren
Will Tremper

Nachmittags um drei oder vier, ich habe gerade das Fernsehen eingeschaltet, erschreckt mich die keifende Stimme der Rot/Grüne-Abgeordneten Kühnast, die über den Innensenator im Berliner Abgeordnetenhaus herzieht. Was hat er getan, der Ex-General der Bundeswehr, daß die Dame sich so ereifert? Hat er die "Faschisten" in Berlin wieder zugelassen? Hat er die Schwulen und Lesben verboten? Sind ihm die Radfahrer-Horden über die Zehen gefahren? Nichts von alledem.

Schönbohm hat es gewagt, die sogenannte Christopher-Street-Day-Demonstration der Schwulen und Lesben, die am Wochenende darauf wieder einmal die Innenstadt, sowohl der westlichen als auch der östlichen Hälfte Berlins, lahmlegen soll, nicht verbieten zu lassen, weil das ja doch keinen Zweck hat, – "die rennen doch nur zum Verwaltungsgericht und bekommen ihre Erlaubnis dann durch alle Instanzen!" So etwa hat Schönbohm sich geäußert, denn als Innensenator ist er auch für die Wahrung der Berliner Verfassung zuständig und als Verfassungsschützer ein gebranntes Kind, hat oft genug erlebt, wie die Verwaltungsgerichte, dem Buchstaben des Gesetzes folgend, jegliche Anträge des Innensenators hohnlachend abschmettern. Sitzen da lauter 68er inzwischen, die den "langen Marsch durch die Institutionen" längst vollendet haben?

Im weiteren Verlauf der Übertragung aus dem Abgeordnetenhaus erfährt der Zuseher, daß der Ex-Bundeswehrgeneral, der mit gequälter Miene auf der Senatsanklagebank sitzt, am selben Tag bekanntgegeben hat, daß er sich für den Posten des Regierenden Bürgermeisters interessieren würde – falls Diepgen nächstes Jahr nicht mehr antreten will.

Diepgens Antwort auf die Vorwürfe der Grünen- Abgeordneten Künast fällt so kompliziert aus, daß der zufällige Betrachter ihr nicht ganz folgen kann. Was ist aus dem Diepgen geworden, der zu der Zeit, als er noch selber der CDU-Fraktion vorstand, eine schneidige Klinge zu führen pflegte? Auch schon amtsmüde geworden? Der vertrauliche Schulterschluß später mit Schönbohm läßt den Verdacht aufkommen.

"Die Figuren da!" so hat die Abgeordnete Künast in dieser Parlamentssitzung die Senatoren auf der Regierungsbank genannt, sind der Großen Koalition mit der SPD offenbar müde. Darum wäre ein Mann wie Schönbohm, der zwar noch keinen Krieg geführt, aber die NVA der DDR, ohne einen Schuß abzufeuern, friedlich in die Bundeswehr überführt hat, ein wahrer Geniestreich der CDU! Was Schönbohm als erstes tun müßte, wäre ein Volksentscheid der Berliner über die Notwendigkeit von Demonstrationen herbeizuführen – dann hätte er schon gewonnen. Das brauchte Berlin: Einen Regierenden wie Schönbohm.


 
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