© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Karlsruhe: Strafgefangene erhalten mehr Geld
Erkennbare Strafe

Martin OttoNeues aus Karlsruhe. Arbeitende Strafgefangene sollen für ihre Arbeit mehr Geld erhalten. Das Resozialisierungsgebot des Grundgesetzes würde solches gebieten. Das Echo auf das Urteil fällt unterschiedlich aus. Die Süddeutsche Zeitung berichtet triumphierend von einem "geheilten Wortbruch". Der bayerische Justizminister verweist eher verstohlen auf die Ebbe in den Staatskassen und die Arbeitsmarktsituation. Der Sprecher des Bundesjustizministeriums verlautbart, der Karlsruher Richterspruch läge innerhalb der politischen Interessen der Bundesregierung. Grundsätzlich stellt den Richterspruch niemand in Frage. Nimmt man das heute gültige, 1976 in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz zur Hand, so muß man sogar feststellen, daß das freilich etwas zu pathetische Bild vom "Wortbruch" einiges für sich hat. § 200 des Gesetzes legt die Bemessung des Arbeitsentgeltes der Strafgefangenen fest, nämlich 5 Prozent des Durchschnittsentgeltes der Rentenversicherten, sieht jedoch zugleich vor, daß über eine Erhöhung des Entgeltes bis zum 31. Dezember 1980 befunden werden soll. Ein Musterbeispiel für totes Recht: Über die angekündigte Erhöhung wurde nie befunden. Nun müssen, so die höchstrichterliche Vorgabe, die Häftlinge bis zum Jahr 2001 besser entlohnt werden. Die Gefängnisarbeit als solche wurde jedoch keineswegs in Frage gestellt, sie gilt sogar als sinnvoll: Sie macht, so das Urteil, dem Strafgefangenen "bewußt, daß Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist". Mithin macht nur die bezahlte Gefängnisarbeit Sinn, das Gefängnis wird zur Erziehungsanstalt für unsere gestrauchelten Brüder; einer Zwangsarbeit als Strafe stünde ohnehin das Grundgesetz entgegen. Solche strafbegründenden Ansichten wurden nicht immer geteilt.

Deutlich anders als die Bundesverfassungsrichter äußerte sich Immanuel Kant in seiner grundlegenden Rechtsphilosophie "Metaphysik der Sitten" zum Sinn und Zweck der Gefängnisarbeit. Von dem Gedanken an Resozialisierung keine Spur, die Strafe erscheint vielmehr als naturgesetzlich notwendige Vergeltung eines Verbrechens. Mit der Verbrechensvorbeugung, sei es nun durch Abschreckung oder Resozialisierung, hatte Kant wenig im Sinn, überhaupt mit jeder Rechtfertigung der Strafe aus Nützlichkeitsgründen. Würde man die Strafe aus einem der Gesellschaft nützlichen Zweck erklären, benutze man, so Kant, den Straftäter als "Mittel zum Zweck"; das sei jedoch menschenunwürdig. – Aus der Menschenwürde leitete übrigens der berichterstattende Bundesverfassungsrichter Kruis in einem Sondervotum gerade auch ein Recht der Strafgefangenen auf angemessenen Lohn ab.

Von Vergeltung ist im deutschen Strafrecht nicht mehr viel die Rede, und das schon seit einiger Zeit. 1882 forderte der Marburger Strafrechtsprofessor Franz von Liszt im sogenannten "Marburger Programm" einen Schutz der Gesellschaft vor den Verbrechern durch Resozialisierung und Sicherung gleichermaßen. "Die Strafe ist Prävention durch Repression", lautete die Faustformel. Wo die Spezialprävention durch Resozialisierung, etwa bei Gewohnheitsverbrechern, nahezu unmöglich schien, plädierte Liszt, in der Konsequenz nicht weniger drastisch als Kant, für die "Unschädlichmachung" des Täters. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde in der deutschen Strafrechtswissenschaft mit großer Vehemenz ein Theorienstreit zwischen den Vertretern "klassischer" und "moderner" Schulen ausgefochten.

Der Resozialisierungsgedanke, der dem heute gültigen Strafvollzugsgesetz innewohnt und damit auch das Karlsruher Urteil mitbestimmte, wurde wissenschaftlich zunächst von dem Heidelberger Strafrechtsprofessor und Lisztschüler Gustav Radbruch begründet, der in der Weimarer Republik eine Zeitlang auch sozialdemokratischer Reichsjustizminister war. Radbruch war in vielen Dingen wahrscheinlich zu sehr von der Möglichkeit des Staates als Besserungsanstalt überzeugt. So stimmte er einem sowjetischen Strafgesetzbuch, das nur Besserungsmittel, keine Strafen enthielt, theoretisch zu. Ein Besserungsmittel in diesem Strafgesetzbuch war freilich auch die Todesstrafe. Eine absurde Besserungsmaßnahme, was Radbruch auch durchschaute. Vielleicht zeigt sich hier die Praxisferne aller Strafrechtstheorien am deutlichsten.

Das Karlsruher Urteil war letztlich ein Urteil im Geiste Radbruchs und der Spezialprävention; als solchem ist ihm durchaus zuzustimmen. Nichts spricht gegen ein erhöhtes Arbeitsentgelt für Strafgefangene, solange die Strafe als solche erkennbar bleibt und auf unterschiedliche Verbrechertypen Rücksicht genommen wird. Natürlich kann das Karlsruher Urteil auch ungewollte Folgen zeigen: Betriebe werden auf die, bislang konkurrenzlos billige, Arbeit im Gefängnis aus Kostengründen fortan verzichten, für die Gefangenen fiele weniger Arbeit an, die Resozialisierungsmöglichkeiten wären dahin. Den Strafgefangenen wäre damit erst recht nicht geholfen.


 
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