© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
Zeitschriftenkritik: "Schwarzer Faden"
Lust auf herrschaftslose Gesellschaft
Gerhard Quast

Die Zeit klassisch-anarchistischer Zeitschriften ist vorbei. Publikationen wie Schwarze Katze, Engel Luzifer, Direkte Aktion, trafik, radikal, Graswurzelrevolution, Unter dem Pflaster liegt der Strand oder Schwarzer Gockler haben entweder ihr Erscheinen längst eingestellt oder sie konnten der Versuchung nicht widerstehen, sich einer oder mehrerer der in den letzten drei Jahrzehnten die Bundesrepublik heimsuchenden "Neuen Sozialen Bewegungen" anzubiedern mit dem Ergebnis, von anderen linken Zeitschriften kaum noch zu unterscheiden zu sein.

Auch bei der im Mai 1980 gegründeten "anarchistischen Vierteljahresschrift" Schwarzer Faden (SF) war dies nicht anders. Die Anti-AKW-Bewegung, der "Häuserkampf", die Friedensbewegung und das Aufkommen autonomer und antifaschistischer Gruppen haben ihre Spuren hinterlassen. Gelitten hat bei der seit über 18 Jahren erscheinenden Zeitschrift dadurch nicht nur das anarchistische Profil – anarchistische Theorie von Max Stirner über Michail Bakunin bis Gustav Landauer oder Erich Mühsam findet praktisch nicht mehr statt –, sondern auch deren unorthodoxer Umgang mit anderen Meinungen. Auch wenn sich der SF im Untertitel heute "Lust und Freiheit" auf die Fahnen geschrieben hat, die lagerübergreifende Diskussionsfreudigkeit war in den Anfangsjahren weit ausgeprägter. Da durfte beispielsweise der wir selbst-Autor Henning Eichberg "im Namen des Volkes den Staat infragestellen" und Paul Winteracker eine "nationalrevolutionäre Antwort" auf einen Beitrag des SF-Redaktionsmitgliedes Horst Blume ("Nationalrevolutionäre aus anarchistischer Sicht") verfassen. Da konnte Anarchist Hans-Jürgen Degen über Deutschland als "Einheitsstaat oder Kulturnation" nachdenken oder in unorthodoxer Weise "Anmerkungen zum Staat" machen. Wiederum Horst Blume zettelte 1984 mit seinem Beitrag "Silvio Gesell – ‘der Marx der Anarchisten’ – ein Faschist" eine Debatte über Gesells Freiwirtschaftslehre an, auf die nicht nur der Sozialökonom Werner Onken antwortete ("War Silvio Gesell ein Faschist? – Nein keineswegs"), sondern die dem SF bei vielen Linken nun endgültig den Ruf einbrachte, "nationalrevolutionär" zu sein.

Der ungewöhnliche Umgang mit "nationalen" Positionen blitzte nach der 89er Revolution noch einmal auf: "Deutschland einig Vaterland?" fragte Hans-Jürgen Degen und wurde von SF-Herausgeber Wolfgang Haug zurechtgewiesen: "Es kann keinen National-Anarchismus geben". Schließlich faßte die Redaktion noch ein weiteres Mal nach: "Wider den libertären Nationalgedanken". Seither hat der SF zwar an Auflage (schwankend zwischen 2.500 und 3.000) zugenommen, an Spannung allerdings verloren: Sternstunden wie die Interviews mit Alain Finkielkraut, Michel Foucault, André Gorz, Augustin Souchy oder Murray Bookchin waren in den letzten Jahren eher selten. Statt dessen dominieren feministische Themen oder "praktizierter Anarchismus", wie derzeit die Pro-Asyl-Kampagne "Kein Mensch ist illegal" ("Fluchthilfe ist eine Dienstleistung").


 
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