© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
Kolumne
Nachkrieg ade!
Klaus Hornung

Brigitte Sauzay, Chefdolmetscherin des französischen Außenministeriums, die schon zwischen Brandt und Pompidou, Schmidt und Giscard d’Estaing und dann zwischen Kohl und Mitterand gedolmetscht hatte, findet Medien-Aufmerksamkeit, denn sie soll bei einem Wahlsieg Schröders dessen Beraterin für die deutsch-französischen Beziehungen werden. Nun hat auch die Hamburger Zeit ihr eine freundliche Darstellung gewidmet. Und siehe da: Auch in der Wochengazette beginnen die alten linksliberalen Betonplatten Risse zu bekommen.

Die kluge Dame aus Paris meint da ganz politically incorrect: "Die Deutschen sollten zu einer deutschen Identität zurückfinden. Statt dessen lassen sie sich einfach treiben in der Strömung eines globalisierten Ozeans." Schon 1985 hatte sie in einem Buch "Die rätselhaften Deutschen" (Le Vertige Allemand, Der deutsche Taumel) ganz zeitgeist-fern gemeint, ein neues Deutschland sei ohne Hinwendung zu seinen historischen Wurzeln nicht zu schaffen. Inzwischen hat sie auf Schloß Genshagen bei Berlin zusammen mit dem Göttinger Historiker Rudolf von Thadden eine deutsch-französische Begegnungsstätte geschaffen, in der es der Französin auch um die deutsche Identität geht. Jetzt sagte sie im Gespräch im Café Kranzler mit dem Zeit-Korrespondenten: "Die alte Bundesrepublik wirkte auf uns Franzosen eher farblos. Aber das wiedervereinigte Deutschland muß die Klippe seines Ökonomismus umschiffen. Wir lechzen doch alle nach etwas anderem als nur nach der Wirtschaft."

Ich muß gestehen, daß mich erfreute, gerade aus dem Mund der charmanten Pariserin diese implizite Kritik an den oft so forciert "europäischen" und nationsvergessenen, "weltoffenen" und doch so rätselhaften, weil gern charakterlosen Deutschen zu hören. Immer wieder sind es kluge Europäer, die die tieferen Gründe der deutschen Misere und ihrer ökonomischen, politischen und kulturellen Dimensionen erkennen und benennen, fernab jeder politischen Korrektheit und ganz ähnlich, wie sie auch in dieser Zeitung seit langem konstatiert werden. Schon zum deutschen Verfassungstag am 23. Mai 1973 hatte einst der Pariser Le Figaro geschrieben: "Die Bundesrepublik Deutschland bietet das seltene Beispiel eines Staates, der sich jeder geschichtlichen Verwurzelung verweigert. Diese fehlende lebendige Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart könnte sich im Fall einer schweren Krise für diesen Staat als überaus verhängnisvoll erweisen." Was hat sich seither verändert? Immerhin beginnen die alten Betonplatten Risse zu bekommen. Und keine Nachkriegszeit dauert ewig.


 
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