© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
Das letzte Wort fehlt
Thorsten Thaler

Seit Dienstag dieser Woche haben es Gegner und Befürworter der umstrittenen und völlig unsinnigen Rechtschreibreform schwarz auf weiß. "Der Staat ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, Regelungen über die richtige Schreibung der deutschen Sprache für den Unterricht zu treffen", heißt es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, mit dem die acht Richter des Ersten Senats unter dem Vorsitz von Hans-Jürgen Papier das neue Regelwerk passieren ließen. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfe die von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Neuregelung nicht. Grundrechte von Eltern und Schülern würden durch diese Rechtschreibreform nicht verletzt, urteilte das höchste deutsche Gericht (1 BvR 1640/97).

Mit dem Karlsruher Richterspruch endet – jedenfalls vorläufig und bis auf weiteres – eine ebenso langjährige wie erbittert geführte Auseinandersetzung zwischen Reform-Gegnern und Anhängern der Neuschreibung, die nun voraussichtlich am 1. August offiziell in Kraft treten wird. Für die in der Hauptsache betroffenen Schüler ändert sich dadurch indes nur wenig. Wer bisher Mühe hatte zu lernen, wann man "daß" oder "das" schreibt, wird künftig vor der nicht minder schweren Entscheidung stehen, "dass" oder "das" zu schreiben. Worin hier die von den Kultusministern so häufig beschworene Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung besteht, verliert sich in den unendlichen Tiefen bürokratischer Logik.

Ob das Urteil des Verfassungsgerichts allerdings wirklich das letzte Wort ist, bleibt abzuwarten. Wenn am 27. September, dem Tag der Bundestagswahl, mindestens 525.000 wahlberechtigte Schleswig-Holsteiner in einem ersten Volksentscheid ihren Daumen über die Rechtschreibreform senken, ist die Karlsruher Entscheidung nicht mehr das Papier wert, auf der sie geschrieben steht. Nicht zuletzt aus Achtung und Respekt vor dem Volkssouverän wären die Kultusminister also gut beraten, sich mit der offiziellen Einführung trotz des höchstricherlichen Segens noch etwas Zeit zu lassen. Ein Beispiel nehmen können sich die Kultusminister an den deutschsprachigen Nachrichtenagenturen, die unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung angekündigt haben, mit der Umsetzung der Rechtschreibreform vorerst abzuwarten. Eine endgültige Entscheidung wollen die Agenturen erst nach der Volksabstimmung in Schleswig-Holstein treffen. Die Chancen, daß dem Schreibdiktat der Kultusminister vom Volk die nötige Abfuhr erteilt wird, stehen nicht schlecht: drei Viertel aller Deutschen lehnen die Verschlimmbesserungen ab. Die Bundestagswahlen könnten also auch für so manchen Kultusminister zu einer Nagelprobe werden.


 
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