© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
Hochschulen: Studentisches Bündnis beantragt Überprüfung auf Stasi-Vergangenheit
An linken Lebenslügen festhalten
Werner Olles

An der Universität Gesamthochschule Kassel hat sich ein Bündnis aus liberal-konservativen und rot-grünen Studenten gebildet, das im Konvent einen Antrag eingebracht hat, Professoren, wissenschaftliche Bedienstete und Beamte des gehobenen und höheren Dienstes von der Gauck-Behörde auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR untersuchen zu lassen.

Wortführer des Bündnisses sind der ehemalige Pressesprecher der Jungen Union (JU) Hessen, Heiko Homburg, und Dietmar Bürger von der Hochschulgruppe der Jungsozialisten (Jusos), der außerdem dem Juso-Bundesvorstand angehört. Ihr Antrag wurde im Konvent zwar beraten, auf Initiative eines Dozenten der konservativ-liberalen Professorenliste jedoch wieder vertagt. Auch der Universitäts-Präsident Hans Brinckmann lehnte aus "rechtsstaatlichen Gründen" eine Regelanfrage beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, ab, die nach dem hessischen Hochschulrecht sowieso "nicht zulässig" sei.

Die antragstellenden Studenten sind gleichwohl der Auffassung, daß "auch durch die westdeutsche Öffentlichkeit eine unsichtbare Trennlinie zwischen Opfern und Tätern verläuft". Selbst wenn ihr Antrag nun erst einmal vom Tisch sei, "die Vergangenheit, die Akten der Gauck-Behörde und der Verrat sind es nicht!"

Die Studenten gehen davon aus, daß gerade die westdeutschen Hochschulen ein bevorzugtes Operationsziel der Stasi gewesen seien. Der DDR-Dienst habe für jede einzelne Hochschule eine spezielle Diensteinheit benannt, von der Technischen Universität Aachen bis zur Würzburger Universität habe die Abteilung XV der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) ihre West-Agenten angesetzt. Sie zitieren den früheren MfS-Mitarbeiter Wolfgang Hartmann, der in der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik die Agententätigkeit der Stasi an den westdeutschen Hochschulen bestätigte und erklärte, er habe bereits in den sechziger Jahren an mehreren Hochschulen in Westdeutschland Studenten für das MfS angeworben, die später oft "hohe Funktionen erreichten".

Auch die Gauck-Behörde hat an mindestens 29 Hochschulen sogenannte Stützpunkt-IM ("Inoffizielle Mitarbeiter") entdeckt. Da in Kassel die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), der MSB Spartakusbund und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) organisiert waren, vermuten die Studenten, daß auch ihre Universität ein solcher Stützpunkt war – zumal bereits drei ehemalige MfS-Agenten enttarnt wurden, die in den siebziger Jahren für die Stasi spitzelten und zum Beispiel den damaligen CDU-Spitzenpolitiker Rainer Barzel als Kriegsverbrecher diffamierten.

Ein Wirtschaftswissenschaftler der Gesamthochschule Kassel sei gar 30 Jahre lang für das MfS tätig gewesen und habe als Autor des Herder-Verlages auch Kollegen an die Staatssicherheit verraten. Den Studenten geht es jedoch vor allem darum, die Einseitigkeit zu beenden, mit der im Osten alles "durchgeprüft" wird, während in Westdeutschland "die Spuren der Stasi ignoriert werden". Auch sei die Agententätigkeit oft mit "übelsten Straftaten einhergegangen".

Die Kasseler Hochschullehrer äußern sich zu dem Antrag der Studenten in der Mehrzahl negativ. Von "bescheuert", "kontraproduktiv" und "Hexenjagd" ist die Rede. Vor allem ehemalige 68er unter den Dozenten beklagen sich darüber, daß nun "Linke plötzlich eine Hatz auf Linke veranstalten" und beschwören eine ominöse "gemeinsame historische Vergangenheit". Diese Kräfte stellen auch die Staatssicherheit der DDR mit dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz auf eine Stufe, in dessen Archiven sie sich eher archiviert wähnen als in den MfS-Dossiers.

Zwar hat das studentische Bündnis mit dieser Kritik gerechnet, ist aber dennoch enttäuscht über das Verhalten der linken Professoren, "die bisher mit Habermas den kritisch-rationalen Diskurs forderten", aber nicht dazu fähig seien, sich von der "Lebenslüge der westdeutschen Linken" zu lösen.

Immer noch sei für diese "nicht aufgeklärte politische Linke" die DDR "der bessere deutsche Staat". Zwar fordere sie die endlose Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, wolle sich aber dem realsozialistischen Teil der deutschen Geschichte offenbar nicht stellen. Wer ihren Antrag als "Hatz diffamiere", so die Studenten, verunglimpfe auch die demokratische Linke, die eben mit den Stalinisten keine gemeinsame Vergangenheit habe.

Daß beträchtliche Teile der alten "Neuen Linken" nicht bereit sind, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, hat die Studenten aber nicht entmutigt. Sie wollen weiterhin dafür eintreten, daß ein besonders trübes Kapitel der deutschen Hochschulen und der deutschen Linken öffentlich aufgearbeitet wird.


 
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