© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Abschiebungen: Berlins Innensenator unter Beschuß
Ein Mann, ein Wort
von Thorsten Thaler

Das Ansehen von Politikern, gleich welcher Partei sie angehören, siedelt irgendwo zwischen dem von Versicherungsvertretern, Finanzbeamten, Taschendieben und Gefängnisaufsehern. Eine der Ursachen für das ramponierte Image ist ihre mangelnde Aufrichtigkeit, die wiederum zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit geführt hat. Heute angekündigt, morgen bereits vergessen – die Diskrepanz zwischen Worten und Taten ist bei Repräsentanten der politischen Klasse, zumal in Wahlkampfzeiten, augenfällig.

Doch es gibt Ausnahmen. Jörg Schönbohm, CDU-Innensenator von Berlin, ist so eine gleichermaßen seltene wie rühmliche Ausnahme. Der 60jährige zeichnet sich durch die unter Politikern wenig verbreitete Tugend aus, zu seinem Wort zu stehen. Als er kurz nach seinem Amtsantritt in Berlin 1996 ankündigte, rechtswidrige Hausbesetzungen nicht länger zu dulden, erntete er selbst von Wohlmeinenden nur ein müdes Lächeln. Seit Anfang der achtziger Jahre gehörten Hausbesetzungen mit teils stillschweigender, teils ganz offener Duldung aller Berliner Landesregierungen ebenso zur deutschen Hauptstadt wie der Funkturm oder die Siegessäule. Nach der Wende kamen weitere Besetzungen im Ostteil der Stadt hinzu; die Politik schien machtlos. Erst mit dem konsequenten Durchgreifen von Schönbohm endete im Mai dieses Jahres die Ära der Hausbesetzungen in Berlin. Das Aufheulen linker Kreise kümmerte ihn dabei herzlich wenig.

Jetzt steht der ehemalige Bundeswehrgeneral erneut unter schwerem Beschuß. Seit er in der vorvergangenen Woche 74 bosnische Kriegsflüchtlinge in ihre Heimat abschieben ließ, muß er jede Menge verbale Prügel einstecken. "Als Innensenator ist der Mann kaum mehr tragbar", urteilte ein journalistischer Ankläger ausgerechnet der Berliner Zeitung, die Jörg Schönbohm noch drei Wochen zuvor stattliche 280 Zeilen Platz für eine gestochen scharfe Absage an multikulturelle Träumereien eingeräumt hatte.

Nicht nur Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty laufen Sturm gegen die "Nacht- und Nebelaktion" des Innensenators. Internationale Vereinbarungen würden unterlaufen, kritisierten die beiden Berliner Bischöfe in einem gemeinsamen Schreiben an den Regierenden Bürgermeister die Flüchtlingspolitik des Berliner Senats. Die Abschiebeaktion sei "menschenunwürdig" gewesen, sekundierte die Evangelische Jugend. Und der internationale "Streitschlichter" in Bosnien-Herzegowina, der frühere Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling (CDU), verstieg sich sogar zu der Behauptung, der Innensenator trage eine Mitschuld an der "Vollendung der ethnischen Teilung Bosnien" – als ob Jörg Schönbohm höchstselbst für die serbischen Greueltaten in dem seit Jahren tobenden Bürgerkrieg auf dem Balkan verantwortlich sei.

Die Bündnisgrünen holten einmal mehr die Faschismus-Keule aus ihrem geistigen Waffenarsenal. Mit den Worten "Schönbohm zündelt" rückte die Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer den Berliner Verfassungsschutz-Senator in die Nähe von "Rechtsextremisten". Den Vogel aber schoß der EU-Beauftragte in Mostar, Hans Koschnick, ab. Der ehemalige Bremer SPD-Bürgermeister entblödete sich nicht, Parallelen zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu ziehen, indem er Schönbohm "Gestapo-Methoden" vorwarf. – Ja, sind wir etwa schon wieder soweit?

Mitnichten. Tatsächlich sind die Vorwürfe gegen den Innensenator dumm und haltlos, weil aus der Luft gegriffen. Von den rund 350.000 bosnischen Kriegsflüchtlingen, die bis 1995 nach Deutschland kamen, hat Berlin prozentual weit mehr als andere Bundesländer aufgenommen. Davon haben nach Angaben der Berliner Innenverwaltung erst 8.000 die Stadt freiwillig wieder verlassen; etwa 20.000 Flüchtlinge leben noch immer in Berlin. In einem sechswöchigen Sonderprogramm offerierte der Senat bis Ende Mai dieses Jahres allen bosnischen Flüchtlingen eine großzügige Rückkehrhilfe von bis zu 9.000 Mark pro Familie – immerhin eine Summe, die so mancher deutsche Arbeitnehmer nicht in vier Monaten netto verdient. Trotzdem beantragten lediglich 3.500 Flüchtlinge das Geld.

In dieser Situation hat Schönbohm mit der konsequenten, auf Recht und Gesetz beruhenden Abschiebung von 74 Flüchtlingen ein Zeichen für alle Rückkehrunwilligen setzen wollen, daß von ihnen die Ausreise erwartet wird. Gleichzeitig hat er damit ein Politikverständnis offenbart, das beispielgebend ist nicht nur für seine Innenminister-Kollegen in anderen Bundesländern, sondern für die gesamte politische Klasse.

Die linksliberalen Marktschreier mag Jörg Schönbohm gegen sich haben; die schweigende Mehrheit in diesem Land weiß er hinter sich. Daß er mit seiner geradlinigen Politik so ganz nebenbei sein Profil schärft, kann ihm dereinst zum Vorteil gereichen, wenn die Berliner CDU ihren Spitzenkandidaten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus 1999 kürt.


 
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