© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Spontan angepaßt
von Konrad Kranz

Von dunklen Stellen in seiner Biographie ist die Rede, von der Flucht in Gedächtnislücken. Eine Möglichkeit scheint gefunden, den Fraktionschef der Grünen zu demontieren. Wird der Politiker Joseph Fischer von seiner Sponti-Vergangenheit eingeholt? Nun wirkt es, wenn die Union "Kampagnen" entfacht, oft gequält. So auch diesmal. Aus der CDU verlautet, es gebe genügend qualifizierte Politiker in Deutschland, so daß man nicht jemanden wählen müsse, der Gewalt gegen den Staat propagiert hätte. Aber wer ist "man"? Fischer wird von seiner Klientel gewählt, die zahlenmäßig weit schwächer ist als ihre öffentliche Präsenz. Und diese Klientel wählt "den Joschka" gerade, weil er nicht konform war, weil er den BRD-Staat verachtet hat. Er personifiziert die "Jugendsünden" seiner etablierten Kampfgenossen von einst, deren Hoffnungen – und spiegelt zugleich deren Versagen vor der wirklichen Entscheidung. Vielleicht konnte dem "Realo" Fischer nichts Besseres passieren, als seine Unangepaßtheit, seine Affinität zu Molotow-Cocktails öffentlich erinnert zu sehen. Da war Bewegung, da war revoltierender Geist, der das Bestehende doch so sehr brauchte.

Dafür, daß Fischer auf irgendeine Weise mit dem Attentat auf den damaligen hessischen FDP-Wirtschaftsminister Karry zu tun hatte, fehlt jeder Beweis, selbst jeder ernsthafte Hinweis. Daran aber, daß Fischer sich als "Straßenkämpfer" verstand, daß er zehn Jahre lang unter Einsatz von Gewalt die verfassungsgemäße Ordnung der Bundesrepublik umstürzen wollte und von den Regeln des Strafgesetzbuches nichts gehalten hat, daran hat er nie einen Zweifel gelassen. Sein neuestes Bekenntnis dazu ist keine Sensation. Und daß er sich heute auf dem Boden der bequemen bürgerlichen Ordnung befindet, das ist offensichtlich; selbst wenn er das Gegenteil behauptete, man glaubte ihm nicht. Diesen Realismus nehmen ihm die Ur-Grünen übel, nicht seine Vergangenheit.

Es gibt Brüche in der Biographie. Aber was ist daran schlimm? Nicht Joseph Fischer ist das Problem; verwerflich ist vielmehr, wie damit in Deutschland von den Urhebern der veröffentlichen Meinung umgegangen wird. Es wird grob selektiert. Einem Ernst Jünger wurden seine "militaristischen" Stahlgewitter auch ein dreiviertel Jahrhundert später nicht verziehen, und man stelle sich vor, bei einem CDU-Spitzenpolitiker würde eine NPD-Vergangenheit entdeckt. Der Spiegel würde das Thema schwerlich erst auf Seite 35 abhandeln. Joseph Fischer aber genießt die ganze Sympathie des Establishments, denn er ist Teil dieser selbstzufriedenen Schicht. Hinter dem wohlwollenden Laisser-faire, mit dem roten und rötlichen Vergangenheiten in diesem Land begegnet wird, ist erkennbar, wo diese Demokratie heute ihre Wurzeln sieht.


 
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