© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Prag: Milos Zeman beleidigt Sudetendeutsche
Lästige Ansprüche
von Peter Lattas

Wahlkampf ist wie Weihnachten. Selbst diejenigen, die sonst das ganze Jahr keiner mag, bekommen da Geschenke. Zum Beispiel die Sudetendeutschen: Daß man sie quer durch alle Parteien gegen die Anwürfe eines tschechischen Ministerpräsidenten in Schutz nimmt, muß für die vielgescholtenen "Revanchisten" ein ganz neues Erlebnis sein.

Für tschechische Verhältnisse ist das, was Milos Zeman jüngst in Prag von sich gegeben hat, schließlich weder ungewöhnlich noch besonders hart. Die Sudetendeutschen mußten sich von der Moldau in den vergangenen Jahren weit üblere Verleumdungen um die Ohren schlagen lassen als den Vergleich mit "Kommunisten und Rechtsradikalen"; und kaum ein Politiker der Bonner Altparteien wäre noch vor kurzem auf den Gedanken gekommen, die ungeliebten Heimatvertriebenen deswegen zu verteidigen. Indes – ’s ist Wahlkampfzeit.

Die Attacke des tschechischen Ministerpräsidenten ist impertinent, aber folgerichtig. Bei den Verhandlungen über die deutsch-tschechische "Verhöhnungserklärung", die bekanntlich weniger dem plötzlich entbrannten beiderseitigen Versöhnungswillen als vielmehr dem amerikanischen Drängen auf umfassende Zementierung des Status quo in Mitteleuropa vor der NATO-Osterweiterung zu verdanken ist, haben sich die Deutschen schließlich schon genug bieten lassen.

Fröhlich opferte die Kinkel-Diplomatie einen deutschen Rechtsstandpunkt nach dem anderen, führte die Gespräche mit Prag als Geheimverhandlungen gegen das eigene Volk unter demütigender Ausgrenzung der Sudetendeutschen und verständigte sich mit der tschechischen Seite nonchalant darauf, die Vertriebenen mit ihren lästigen Ansprüchen auf Selbstbestimmung und Eigentum halt gemeinsam auszu-
bremsen.

Was liegt da näher, als von tschechischer Seite einmal auszutesten, was die Deutschen sich noch alles gefallen lassen. Also versuchte Zeman, den Alibi-Sudetendeutschen Neubauer aus dem "Zukunftsfonds" herauszuschießen. Über das empörte Echo, das sein Ansinnen in Deutschland ausgelöst hat, hat sich der neugebackene tschechische Ministerpräsident selbst wahrscheinlich am meisten gewundert. Sonst hätte er seinen Vergleich nicht am Wochenende auch noch bekräftigt. Die Deutschen protestieren doch sonst nicht?

Doch zur Wahlkampfzeit kann man in Deutschland mitunter erstaunliche Dinge vernehmen.

Wenn Renate Schmidt, Edmund Stoiber und Wolfgang Gerhardt unisono die "demokratische Gesinnung" der Sudetendeutschen loben, muß etwas faul sein. Daß selbst die Sozis ihr Herz für die Sudetendeutschen entdecken, ist ein so offensichtliches Wahlkampfmanöver, daß es eh keiner glaubt.

Papiertiger Stoiber fordert, die Aufnahme der Tschechei in die EU von der Aufhebung der Benesch-Dekrete und des Amnestiegesetzes abhängig zu machen. FDP-Chef Gerhardt, bei aller neuentdeckten Liebe für die Sudetendeutschen, stellt gleich klar, daß so ein Junktim selbstverständlich nicht in die Tüte kommt. Kohl und Kinkel haben daran sowieso nie einen Zweifel gelassen. Ein rhetorisches Wahlkampf-Sommertheater, mit dem man die Vertriebenen prächtig unterhalten kann. Die plötzliche Anbiederung an die Vertriebenen ist freilich nur eine subtilere Form der Verhöhnung.

Für die Beschwichtigungspolitik, wie man sie in Bonn liebt, tut sich mit der Affäre Zeman jedenfalls ein herrliches Betätigungsfeld auf. Künftig kann "Vertriebenenpolitik" auf die harten und unangenehmen Sachthemen ganz verzichten. Das Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf Rückkehr in die Heimat und auf Rückgabe des geraubten Eigentums sind Probleme, die nicht mehr politisch gelöst werden müssen, sondern durch beharrliches Nichterwähnen erledigt werden.

Statt des diplomatischen Schutzes, den die Heimatvertriebenen als deutsche Staatsbürger von ihrer Regierung ja eigentlich erwarten könnten, wird nur noch rhetorischer Schutz gewährt. Interessenpolitik findet deutscherseits nicht statt, man beschränkt sich auf mit der Schönen Neuen Weltordnung kompatible Platitüden, und wenn "manche Funktionäre" der Sudetendeutschen "ständig dazwischenreden", fährt ihnen FDP-Gerhardt oder sonstwer über den Mund.

Sollten die Heimatvertriebenen und ihre Organisationen unter den ihnen angelegten Maulkörben zu sehr murren, gibt’s ein tröstendes Zuckerl; dann nimmt man sie eben mal gegen einen unflätigen Angriff durch Politiker der Vertreiberstaaten in Schutz. Die Vorlage dafür wird Prag, wenn nötig, gerne liefern; und das nicht nur zur Wahlkampfzeit.

Die Sudetendeutschen werden in den kommenden Wochen ein gutes Gedächtnis brauchen. Sonst wählen sie am Ende wieder das "kleinere Übel" und ernten dafür wenig später die größeren Ohrfeigen.


 
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