© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Blutige Lektionen: Panzer für den Häuserkampf und Polizeieinsätze im Beton-Dschungel
Die Verstädterung des Krieges
von Alexander Beermann

Die ungebremste Verstädterung der Menschheit verursacht in zunehmendem Maße auch eine Verlagerung kriegerischer Konflikte aus unwegsamen Gebirgen und schwer durchdringlichen Wäldern in die Städte und die Slums der großen Metropolen.

Wo sich Bergvölker wie die Tsche-tschenen im 19. Jahrhundert noch in den Tälern und auf den engen Pässen des Kaukasus den zahlenmäßig weit überlegenen Armeen des russischen Zarenreiches entgegenstellten, tun sie dies an der Schwelle zum 21. Jahrhundert in den Gassen und Seitenstraßen ihrer Hauptstadt Dschochar-Stadt (Grosnij). Und während in Afrika und Asien die Konfliktherde des Kalten Krieges noch "Angola", "Korea" oder "Vietnam" hießen, sind jene des neuen Zeitalters unter den Bezeichnungen "Mogadischu", "Kigali" und "Djakarta" bekannt geworden. Viele Städte wachsen nicht nur demographisch, sondern auch in ihrem wirtschaftlichen und strategischen Stellenwert. Es ist kennzeichnend für das Zeitalter der "Globalisierung", daß Staaten zunehmend ihre strategische Bedeutung an ethnisch fundierte Großregionen und semi-autonome, multi-ethnische Handelsstädte verlieren.

Doch längst nicht alle Aspekte der Globalisierung erweisen sich als Elemente gesellschaftlicher Harmonisierung, und die Verwandlung europäischer Stadtteile in Zitadellen der Dritten Welt stellt eine potentiell schwerwiegende Hypothek auf die Zukunft dar. Insbesondere im angelsächsischen Raum sind sich inzwischen immer mehr Wissenschaftler und Journalisten – so etwa Samuel Huntington und Sir David Rees-Mogg, um nur die bedeutendsten zu nennen – der großen Gefahren bewußt und warnen vor einer "Islamisierung und Afrikanisierung Europas". In anderen europäischen Ländern schweigen sie noch, obwohl sie es aus eigener Anschauung vor Ort eigentlich längst besser wissen müßten. Offenbar unfähig, außerhalb des westlichen Humanismus zu denken, verbreiten die "Gutmenschen" ihre stereotypen Parolen über die "Segnungen der multikulturellen Gesellschaft" und verschärfen durch ihre Untätigkeit die Konfliktpotentiale künftiger Generationen.

Die US-Amerikaner haben die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt. Die Armee hat sich schon lange damit abgefunden, daß ihre nächsten Herausforderungen nicht im einsamen Dschungel Asiens oder gar Afrikas liegen, sondern im Betondschungel der eigenen Innenstädte, die dem Durchschnittsamerikaner immer fremder werden, und inmitten der Blechhüttenmeere der Dritten Welt. Bezahlt wurde diese Erkenntnis
u. a. mit dem Tod von 18 US-Rangern, die im Jahre 1992 in Mogadischu geglaubt hatten, dem somalischen Milizenführer Aidid eine Lektion erteilen zu können. Hinzu kamen die schmerzlichen Lehren, die die russische Armee in den Straßen von Grosnij ziehen mußte. Hunderte von ausgebrannten Wracks säumten den Spießrutenlauf der Russen, weil auch sie – wie die meisten modernen Armeen – über zu wenig spezialisierte Infanterie verfügen. In Washington wie in Moskau mußte man einsehen, daß faktisch bewegungsunfähige Panzer (in Mogadischu) bzw. eine zu ungeübte Infanterie (in Grosnij) beim Häuserkampf in den Gassen des "Globalen Dorfes" katastrophale Folgen haben können.

Folgerichtig plädiert der US-Militärberater Ralph Peters für eine neue Generation von Panzern, die speziell für den Einsatz in Städten geeignet ist. Seine These lautet: "Es gibt kein globales Dorf. Das Dorf stirbt als Modell, und als Quelle der Macht ist es bereits tot." Peters glaubt, daß westliche Eliten auch die Interessen ähnlicher, "globalisierender" Eliten in anderen Erdteilen zu verteidigen trachten – ungeachtet der Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung. Zu diesem Zweck müssen Truppen einsatzbereit gehalten werden, die auch in dichtbewohnten Gebieten große Schlagkraft besitzen.

Zumindest inoffiziell sieht auch manch anderer Armee-Experte die Zukunftsperspektiven keineswegs rosig. So beschreibt der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld die Rolle von Polizei und Militär im 21. Jahrhundert als "kaum unterscheidbar". Für Europa bedeutet dies, daß Städte wie Brüssel, Paris oder Frankfurt am Main zu Zentren ethnischer Spannungen werden und die Polizei hier zusehends einen Bedarf an intensiver militärischer Ausbildung und einer entsprechenden Ausrüstung anmelden wird.

Ein Horrorszenario? – Nun, viele können sich noch gut an den "Schutzmann" an der Ecke erinnern, mit dem Gummiknüppel in der Hand. Vergleicht man diesen Typus eines Ordnungshüters mit den Sondereinsatzkommandos der 90er Jahre, dann hatten bereits die letzten drei Jahrzehnte auf die äußerliche Erscheinung und das Auftragsbild der Polizei revolutionäre Konsequenzen.


 
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