© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Kolumne
Sonnenuntergang
von Heinrich Lummer

Kennen Sie Baalbek? Jenes alte Heliopolis muß man kennenlernen, wenn man Sinn für alte Geschichte und imperiale Ruinen hat. Immerhin hat es Kaiser Wilhelm II. für wichtig genug gehalten, vor hundert Jahren dorthin zu reisen. Am 11. November kurz vor Sonnenuntergang erreichte er Baalbek. Er erlebte einen Sonnenuntergang und den berühmten Sonnenaufgang in der Bekaa-Ebene. Die ist nun einigermaßen bekannt geworden. Hier wurden diverse Terroristen und Kämpfer ausgebildet. Hier ist ein Zentrum der Hisbollah. Und hier gibt es nach den Kriegswirren wieder das berühmte Baalbek-Festival in den alten Gemäuern der römischen Tempel. 

Der Kaiserbesuch wirkt sich heute noch aus. Im November wird in den Ruinen eine Archäologie-Austellung als deutscher Beitrag ihre Tore eröffnen. Der Besuch Seiner Majestät hat Spuren hinterlassen. Gleich nach seiner Rückkehr wurden deutsche Archäologen mit Grabungs- und Rekonstruktionsarbeiten beauftragt. Noch vor Ende des Jahres 1898 hatte der deutsche Botschafter Marschall von Bieberstein die nötigen Genehmigungen beschafft. Bis 1905 waren erfolgreiche Arbeiten durchgeführt worden, die noch heute den Touristen zugute kommen.

Der Kaiser war so beeindruckt von seinem Besuch, daß er sich immer wieder mit den Zusammenhängen zwischen Königtum und göttlicher Autorität beschäftigte. Von Gottes Gnaden Kaiser zu sein, ist eben schöner als von Gnaden eines Parlaments. Natürlich wurde er dort ganz anders gesehen und empfangen als in Deutschland. Deutsche Zeitungen zitierten seine Bemerkung, daß seine Berliner doch sehen möchten, wie hier ein Monarch empfangen wird. Das ist bezogen auf das Verhältnis von Regierenden und Regierten bis heute so geblieben. Und manch hiesiger demokratischer Politiker hätte wohl gern das Standing seiner orientalischen Kollegen. So haben wir vielleicht alle etwas von Wilhelm II. in uns.

Auch etwas anderes ist geblieben. Schon der Kaiser beklagte die Streitigkeiten der christlichen Kirchen in den heiligen Stätten Jerusalems. Auch das ist immer noch so. Nur werden dort die christlichen Vertreter immer weniger. Es wäre schade, wenn der Streit nur deshalb aufhörte, weil es dort keine Christen mehr gibt.

Man kann sich vorstellen, wie ein deutscher Monarch von Gnaden eines Parlaments sich fühlt, wenn er in den Ruinen der alten Heliopolis steht. Hier spürt jeder einen Hauch dessen, was göttlich, imperial und universal ist. Der Besuch Wilhelms wurde auf einer Marmortafel festgehalten. Diese sollte am Jupitertempel angebracht werden. Dort ist sie noch heute. Nur: Heute glaubt die Wissenschaft übereinstimmend zu wissen, es sei gar nicht der Jupitertempel, sondern er sei dem Gott Bacchus, dem Herrn der Orgien und des Rausches gewidmet. Ironie der Geschichte?


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