© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Mahnmal-Moratorium
von Dieter Stein

SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, dem ansonsten der Vorwurf gemacht wird, sich kaum festlegen zu wollen, hat durch die im Juli erfolgte Ernennung des seit über zehn Jahren als Verleger in den USA tätigen Michael Naumann zum "Kulturbeauftragten" in seinem Schattenkabinett viel Staub aufgewirbelt. Denn Naumann scheute sich nicht, mit deutlichen Worten gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin Stellung zu beziehen.

Kohl warf Naumann in einem RTL-Interview (siehe Dokumentation Seite 7) vor, er wisse nicht, "was die internationale Öffentlichkeit darüber redet", vor allem aber orakelt der Kanzler in unvergleichlichem Deutsch darüber, was im Falle einer Ablehnung des Denkmals "auf uns zukommt in der amerikanischen Ostküste und anderem Zusammenhang". Vermutlich hat Naumann im Laufe der Jahre während seiner Tätigkeit als Verleger in New York genauer als der Kanzler mitbekommen, was vor seinen Augen "in der amerikanischen Ostküste" vor sich geht, vor allem weiß er offenbar besser als Kohl, daß die Meinungen unter amerikanischen Juden (sie meint der Kanzler ja mit der Stereotype von der "amerikanischen Ostküste") bezüglich der deutschen Denkmalspolitik auseinandergehen – ja, daß es vielen wahrscheinlich gleichgültig ist, ob und wie die Deutschen die Umgebung des Pariser Platzes in der Hauptstadt zubetonieren.

Es ist bemerkenswert, daß Geschichtspolitik und die Frage der Architekturplanung Berlins Eingang in den Wahlkampf gefunden haben. Noch bemerkenswerter ist es, daß es zu einem Kräftemessen zwischen Kohl und Schröder kommt, bei dem der Kanzler nur zu einem hohen Preis den Sieg davontragen kann: Um den Preis des Verdachtes, es sei ein millionenschweres Labyrinth mit 2.500 Betonstelen in Berlin allein deshalb aufgestellt worden, weil der Kanzler Angst davor hat, was "auf uns zukommt in der amerikanischen Ostküste".

Doch im Ernst: Deutschland täte gut daran, endlich beim inflationären Drauflosbauen von Denkmälern ein Moratorium einzulegen. Ist eigentlich schon einmal jemandem aufgefallen, über wieviele Denk- und Mahnmäler Deutschland bereits jetzt verfügt? Und kommt vielleicht irgend jemand einmal auf die Idee, ob es nicht geschmacklos ist, sich in immer neuen Superlativen zu überbieten, wie gedenk- und erinnerungsfreudig doch die Deutschen (womöglich im Gegensatz zu "anderen") sind? Die Bundesregierung sollte sich lieber Gedanken darüber machen, wie sich die auswärtige Kulturpolitik unseres Landes verbessern läßt und das Ansehen Deutschlands "im Ausland" aufgrund seiner Kultur und seiner geschichtlichen Leistungen gehoben werden kann.


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