© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Starke Sprüche
von Hans B. von Sothen

"Wer rechts wählt, wird links regiert." Diese vom früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler aufgestellte Faustregel stimmt schon lange nicht mehr. Zunehmend verliert gerade die SPD Wählerstimmen an Republikaner oder die DVU. Dabei sind den Wählerwanderern nach rechts Wahlprogramm, Spitzenkandidat oder Name der Partei ziemlich egal, wie eine vom Spiegel veröffentlichte Emnid-Umfrage ergab. Überall dort, wo in den vergangenen Jahren die genannten Parteien angetreten sind, waren ihre Stimmengewinne dort überraschend hoch, wo sich die traditionellen Arbeiter- und SPD-Hochburgen befinden. So etwa in Wilhelmshaven, Bremerhaven oder in den südlichen und östlichen Vorstädten Hamburgs. Regionen, die nicht nur von hoher Arbeitslosigkeit, sondern auch von einem starken Ausländeranteil betroffen sind. 

Die SPD befindet sich in einer prekären Situation. Schweigt sie Ausländerthemen und Kriminalität tot, laufen ihr die Wähler weg. Bringt sie wenige Wochen vor der Wahl mit starken Sprüchen diejenigen Probleme zur Sprache, die ihrer traditionellen Stammwählerschaft tatsächlich unter den Nägeln brennen, wird sie zumindest dort unglaubwürdig, wo sie selbst Verantwortung getragen hat, aber während der letzten Jahre auf Druck des eigenen linken Partei-Establishments eine komplett gegenläufige Politik betrieben hat. Voscherau in Hamburg und Spöri in Baden-Württemberg haben das zu spüren bekommen. War Spöris Partei nicht in der Regierungskoalition? War Voscherau denn nicht zehn Jahre Regierungschef? Warum hatten sie denn nichts geändert? Das waren die naheliegenden Fragen der Wähler. Voscheraus SPD bekam in den Arbeitervororten die Quittung, wo sie teilweise bis zu 25 Prozent an die DVU abgeben mußte. Voscheraus Amtsnachfolger und SPD-Parteilinker Ortwin Runde versprach dafür als erste Amtshandlung nach der Wahl zusammen mit den Grünen eine liberalere Ausländerpolitik in Hamburg. Same procedure

In Mitteldeutschland verlor bislang vor allem die CDU, weil sie dort im Gegensatz zur SPD und der PDS nach der Wende die eigentliche Arbeiterpartei war. Damit ist es jetzt vorbei. Auch SPD und PDS werden nervös, weil ihr rechte Protestwähler wegzulaufen drohen. Der Schwenk der Wähler nach rechts wird erfahrungsgemäß von den Meinungsforschungsinstituten pünktlich vor der Wahl weit unter die Fünf-Prozent-Marke gerechnet werden. Doch ist die Hemmschwelle, rechts zu wählen, stark gesunken. Daß auch vor dieser Bundestagswahl die CDU/CSU und die SPD versuchen werden, fünf Minuten vor Toresschluß mit markigen Worten zum Thema Innere Sicherheit bei den Wählern zu punkten, kann als sicher gelten. Doch dieses Mal könnten sie sich gefährlich täuschen.


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