© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Außenpolitik: Joschka Fischer ist reif für Kinkels Amt
Grüner Real-Kohl
von Karl Friedrich Ciesarz

Die Kaffeesatzleserei wird erst nach dem 27. September beendet sein: Große Kolation unter Schröder? Unter Kohl? Unter Schäuble? Weiter so mit schwarz-gelb? Oder ein "echter Politikwechsel"? Wovon linke MedienmacherInnnen und grüne Realos träumen: Schröder wird Kanzler, Joschka Fischer Außenminister. Den Rest des Kuchens teilen sich "nach zähen Verhandlungen" in strengem Proporz die rot-grünen Hofschranzen.

Zur Einübung seiner Traumrolle wurde Fischer unlängst von der offiziösen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik auf die Bühne gebeten. Der Realo Fischer tat, was sein an Bonner Realitäten geschultes Publikum von ihm erwartete: er präsentierte ein globalpolitisch ausgreifendes Konzept zur Selbstbeschränkung deutscher Macht. Dagegen wäre nichts einzuwenden, denn ein zweimal gebranntes Kind scheut das Feuer. Aber in der Politik geht es nun mal nicht nach guten Absichten, sondern nach den harten Realitäten, und zu diesen gehören die Fakten deutschen Machtzuwachses seit 1989 sowie die unbequeme Mittellage.

Joseph Fischer beginnt seine außenpolitische tour d'horizon unter Bezug auf die amerikanischen Politologen Markowitz und Reich: Wie werden die Deutschen mit dem "Widerspruch zwischen zwei objektiven Fakten der deutschen Lage (fertig); einerseits die strategische Macht des vereinten Deutschland und andererseits die Macht der kollektiven Erinnerung oder auch der Fluch der deutschen Geschichte"? Ist es kleinlich zu vermerken, daß Fischer in seiner Rede von der "Macht der kollektiven Erinnerung" die darin enthaltenen Widersprüche nicht sorgfältig auseinanderhält: einerseits die historisch verständlichen Vorbehalte der Führungsmacht sowie der europäischen Nachbarn und eher interessenpolitisch begründeten Bezugnahmen auf die NS-Vergangenheit im Umgang mit den deutschen Verbündeten und Nachbarn, andererseits die "kollektive Erinnerung" des ansonsten der Geschichte entwöhnten deutschen Staatsvolks an die Verbrechen des NS-Regimes?

Fischer ist als "Realo" gewitzt genug, um die subtilen ideologischen Verschlingungen von Macht und Moral nicht zu erkennen. So sei ihm dieser Widerspruch nachgesehen; wie aber steht es mit den daraus abgeleiteten vier Konstanten deutscher Selbstbeschränkung, einer "zurückgenommenen Außenpolitik"? Als erste Konstante fordert Fischer von Deutschland die Fortsetzung eben dieser "klaren Absage an alle Machtstaatpolitik" und somit eine Rolle als Integrationsmotor in Europa. Andernfalls würden wir nämlich feststellen, "daß das europäische Gleichgewichtssystem auch unter der Decke der europäischen Integration und auch in der europäischen Hülle mit seinen Imperativen fortbesteht". Zur Durchbrechung dieses fatalen Widerspruchs präsentiert sich Fischer rhetorisch in einer bewundernswerten Doppelrolle, in der des alten Cato und der des Kanzlers Kohl: "Deswegen lautet mein ceterum censeo – und darin stimme ich dem Bundeskanzler voll zu –, daß wir wieder in die alten Widersprüche des europäischen Staatensystems hineingeraten werden, wenn der europäische Einigungsprozeß nicht vorankommt…"

Als zweite Konstante hält Fischer an der Westbindung fest: Gemeint ist hier wohl das Bündnis mit der NATO-Führungsmacht USA, wie auch aus seiner Bejahung der NATO-Osterweiterung zu entnehmen ist. Den Joker behält Fischer dabei im Ärmel: Wie steht er zu dem von den USA angesonnenen EU-Beitritt der Türkei?

Auch hinsichtlich seiner dritten Konstante, der europäischenIntegration, sieht Fischer keinen grundlegenden Widerspruch zwischen deutschen Interessen (Sicherheit, Wirtschaft, Sozialstaat) und der Vollendung der EU. Auf Kosten und Modalitäten der Osterweiterung läßt er sich auch gar nicht erst ein. Wenngleich Advokat eines neuen Völkerrechtssubjekts EU, lernen wir Fischer hier als Verteidiger des "zählebigen" europäischen Nationalstaats kennen, "denn er wird eine Behausung für die Menschen bieten, ein kulturelles, soziales, historisches und politisches Zuhause". Was die Nation uns unbehausten Deutschen und den doppelstaatlichen Neubürgern in der supranationalen EU noch an Nestwärme zu bieten hat, läßt der grüne Visionär Fischer offen, ebenso die Frage nach der umfassenden europäischen "Integrationsperspektive, übrigens auch für die jugoslawischen Völker". Nur weiter östlich, bezüglich der NATO-Ostgrenze, weiß Fischer noch nichts Näheres: "Wird die Baltikum-Frage zu lösen sein…? Die Ukraine, wie wird diese definiert? Was wird aus der Demokratisierung Rußlands?" Ja, was wohl?

Ansonsten dirigiert Fischer den Gang der Weltgeschichte mit souveränem Geschick. OSZE, Asienpolitik, den Dreiklang von Demokratie, Marktwirtschaft, Ökologie, gesteigert zum fortissimo der Menschenrechte. Läßt man einige Sätze aus Fischers Rede beiseite, so kann man derlei Worte, in denen sich alle Widersprüche in einer Mischung aus Pathos und Gutgemeintem auflösen, auch aus dem Munde eines Klaus Kinkel vernehmen oder eines Helmut Kohl. In Bonn reifte Fischer zum grünen Real-Kohl. Mit seiner Rede empfahl er sich für die Berliner Republik.


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