© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


RAF: Der Tod des mutmaßlichen Terroristen Wolfgang Grams beschäftigt weiterhin die Justiz
Wer zahlt die Bergungskosten?
von Thorsten Thaler

Der Tod des mutmaßlichen Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF), Wolfgang Grams, beschäftigt auch nach mehr als fünf Jahren die Justiz. Grams war am 27. Juni 1993 bei einer Anti-Terror-Aktion auf dem Bahnhof der mecklenburgischen Provinzstadt Bad Kleinen ums Leben gekommen; zuvor hatte er den Polizeibeamten Michael Newrzella erschossen. Bei der Aktion wurde Grams’ Begleiterin Birgit Hogefeld festgenommen und im November 1996 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Eltern von Grams behaupten bis heute, ihr Sohn sei von Polizisten erschossen worden. Der Generalstaatsanwalt von Mecklenburg-Vorpommern, Alexander Prechtel, hält es demgegenüber für erwiesen, daß Grams sich selbst getötet hat. Prechtel erklärte die Entscheidung der Schweriner Staatsanwaltschaft für rechtens, die Ermittlungen gegen Beamte der in Bad Kleinen eingesetzten Anti-Terror-Einheit GSG 9 einzustellen. Dies führte in der Vergangenheit zu erfolglosen Beschwerden der Eltern durch alle Instanzen der Gerichtsbarkeit; zuletzt beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit der Angelegenheit.

Jetzt rollt die 1. Zivilkammer des Bonner Landgerichts den Fall erneut auf. In dem Rechtsstreit zwischen Grams’ Eltern und der Bundesrepublik geht es um die Bestattungskosten in Höhe von rund 12.300 Mark. Kernpunkt des Prozesses ist aber weiterhin die zwischen den Parteien umstrittene Todesursache des mutmaßlichen RAF-Angehörigen. Für Donnerstag und Freitag dieser Woche hat das Landgericht Zeugenvernehmungen in Schwerin und einen Ortstermin auf dem Bahnhof von Bad Kleinen geplant.

Die Anwälte der Eltern von Grams, Andreas Groß und Thomas Kieseritzky, haben unterdessen auch bei der Menschrechtskommission der Europäischen Union Beschwerde wegen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Beamten der GSG 9 eingelegt. Wie Kieseritzky auf Anfrage der Presse mitteilte, sei eine Reaktion der EU-Kommission bislang nicht erfolgt. Trotzdem hoffen die Anwälte, daß ihre Beschwerde akzeptiert wird. Dies würde ihnen den Weg vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ermöglichen.

Nach Angaben von Kieseritzky kann der Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht in Bonn zwar nicht die vorangegangenen Gerichtsentscheidungen rückgängig machen. Möglicherweise aber könnten neue Erkenntnisse zu einer Neuaufnahme der Verfahren führen, erklärte der Rechtsanwalt. Das Bonner Gericht habe mit der Annahme des Rechtsstreits auch Argumente der Kläger akzeptiert. Als Zeugen seien eine Kioskverkäuferin, ein GSG 9-Beamter und ein Journalist geladen, die nach Ansicht der Kläger eine "exekutionsähnliche Tötung" des verletzt auf den Bahngleisen liegenden Grams gesehen beziehungsweise davon gehört haben wollen. Dieser Tatbestand würde ein Anrecht der Kläger auf die Bestattungskosten rechtfertigen.

Unterdessen ist die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbindung zwischen der DDR-Staatssicherheit und der RAF nach Auffassung des Berliner Generalstaatsanwalts Christoph Schaefgen beendet. Selbst wenn es noch laufende Verfahren gebe, könnten diese aufgrund der maßgeblichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in der Sache nur mit einem Freispruch enden, erklärte der Chef-Ermittler der Staatsanwaltschaft II beim Berliner Landgericht. "Wir hatten andere Rechtsvorstellungen als der BGH, und die sind nicht geteilt worden", sagte Schaefgen.

Der BGH hatte im März drei frühere Stasi-Offiziere freigesprochen, die im ersten und einzigen Prozeß wegen der Stasi-RAF-Verstrickungen vom Berliner Landgericht zu Geldstrafen bis zu 5.000 Mark auf Bewährung verurteilt worden waren. Die Bundesrichter begründeten ihr Urteil damit, daß die DDR völkerrechtlich nicht verpflichtet gewesen sei, den Aufenthaltsort der im Westen steckbrieflich gesuchten RAF-Terroristen preiszugeben.

Unter Berufung auf diese Entscheidung lehnte es das Landgericht Berlin ab, einen Prozeß gegen den früheren Stellvertreter von Stasi-Chef Erich Mielke, Generalleutnant Gerhard Neiber, und den ehemaligen Leiter der für die Terrorabwehr zuständigen Stasi-Hauptabteilung XXII, Horst Franz, zu eröffnen. Nach Ansicht der Richter lasse sich das BGH-Urteil auch auf dieses Verfahren übertragen. Die beiden Stasi-Offiziere waren im Zusammenhang mit der Unterbringung von RAF-Terroristen in der DDR wegen Strafvereitelung angeklagt worden.

Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Anfang der achtziger Jahre zehn prominenten RAF-Aussteigern, darunter der Top-Terroristin Inge Viett, beim Untertauchen in der DDR geholfen. Im Rahmen des Geheimprojekts "Stern II" verschaffte sie ihnen neue Identitäten und besorgte Wohnungen sowie Arbeitsplätze. Nach dem Mauerfall flog die Stasi-RAF-Verbindung auf; noch vor der Wiedervereinigung wurden die gesuchten Terroristen an die Bundesrepublik überstellt.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen