© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Wahlkampf: Schröder und Kohl streiten um deutsche Geschichtspolitik
Show und nochmals Show
von Ernst Jarmer 

Zu einer hitzigen Diskussion haben in den letzten Wochen Äußerungen des "Kulturbeauftragten" von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, Michael Naumann, über das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin geführt.

Naumann hatte nach seiner Nominierung als Kultur-Staatssekretär in einem möglichen SPD-Kanzleramt im Juli erklärt, die zur Endauswahl stehenden Entwürfe führten zu einer ästhetischen Gestaltung der Berliner Mitte mit "Albert-Speer-haften" Gebilden. Statt dessen sollte den bestehenden Gedenkstätten in den einstigen Konzentrationslagern des Dritten Reiches mehr Beachtung geschenkt werden. Der derzeit von Kohl favorisierte Mahnmal-Entwurf des amerikanischen Architekten Peter Eisenmann sieht ein Labyrinth aus 2.500 Beton-Stelen vor.

Unterstützung fand Naumann Ende Juli in einem bemerkenswerten Feuilleton-Beitrag ("Abschied vom linken Nationalmasochismus") von Tilman Krause in der Springer-Zeitung Die Welt. "Welche andere Nation käme wohl auf die Idee, der fürchterlichsten Schandtaten der eigenen Geschichte an exponierter Stelle der Kapitale in so gigantomanischen Dimensionen zu gedenken?" fragte Krause und fuhr fort: "Dimensionen, die Naumann, bevor ihn die politisch Korrekten in seiner Umgebung zur Korrektur zwangen, durchaus zu Recht mit dem megalomanen Albert Speer in Verbindung brachte."

Hart ins Gericht geht Krause mit den Befürwortern eines Holocaust-Denkmals. Dem geplanten Projekt habe von Beginn an der Ruch angehaftet, "in erster Linie einigen Kulturbetriebsnudeln Profil zu verschaffen – allen voran Lea Rosh, jener juive imaginaire der deutschen Betroffenheitsszene, deren harsche Umgansgformen soviel Affinität zum Deutsch-Herrischen verraten", wie Tilman Krause meint.

Mit reflexhafter Empörung haben indessen Vertreter von Bundesregierung und Bundestag auf die Äußerungen Naumanns reagiert. Bundestagspräsidentin Süssmuth (CDU) erklärte, "wer sich in einer Weise wie Naumann zum Holocaust-Mahnmal in Berlin äußert, qualifiziert sich nicht als Kenner der Gedenk- und Mahnkultur".

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble warf Schröder und Naumann "unfreiheitliches Kulturverständnis" vor und sprach sich für den Bau des Denkmals aus. Schäuble räumte aber ein, daß es in der Union auch Stimmen gegen das Denkmal gebe. Dazu zählt an vorderster Stelle Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, der seit Jahren versucht, den Kanzler in seiner Begeisterung für die Baupläne zu bremsen.

In einem von dem privaten Fernsehsender RTL am österreichischen Urlaubsort des Kanzlers, dem Wolfgangsee, geführten "Sommerinterview" äußerte sich dieser in der vergangenen Woche über die Position Michael Naumanns. Kohl warf ihm vor, über ein Projekt zu reden, das er "nie gesehen" habe und meinte, Naumann wisse nicht, "was die internationale Öffentlichkeit darüber redet".

Die Äußerungen des Kanzlers gipfelten in der Feststellung, daß das Holocaust-Mahnmal komme – "alles andere ist undenkbar". Als Begründung führt Kohl keine ästhetischen oder geschichtspolitischen Überlegungen an, sondern allein die ansonsten mögliche "Reaktion der Weltöffentlichkeit, wenn wir es nicht täten". Zudem deutete Kohl schwer identifizierbaren außenpolitischen Druck an, indem er warnte: "Was dann auf uns zukommt in der amerikanischen Ostküste und anderem Zusammenhang, kann ich nur sagen, würde dann ein schwerer Schaden für unser Land sein".

Unterdessen hat SPD-Kanzlerkandidat Schröder die Äußerungen seines Kulturbeauftragten unterstrichen und sich hinter Naumann gestellt. Dazugesellt hat sich in einem aktuellen Spiegel-Interview der mächtige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement (SPD). Er kündigte an, eine künftige Regierung Schröder werde eine positive Entscheidung Kohls zugunsten des Holocaust-Mahnmals notfalls "selbstverständlich" wieder rückgängig machen. "Dann wird der amtierende Kanzler das erleben, was er in Zukunft dauerhaft erleben wird: Es passiert nichts. Die neue Bundesregierung wird sich nach dem 27. September mit der Frage befassen", erklärte Clement.

Michael Naumann, um den jetzt so heftig gestritten wird, ist Gegenwind – auch von links – gewohnt. Gegen seinem Ruf in die Leitung des Rowohlt-Verlages protestierten 1985 150 Schriftsteller, darunter Günter Grass. Damals versuchte er einen Lektor namens Freimut Duve zu entfernen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Duve widersprach nun Naumann im Streit um das Holocaust-Mahnmal. Neben die nationalstaatlichen Denkmäler der Heldenverehrung müsse eine neue Dimension treten: "Das Eingeständnis, daß auch wir Barbaren waren." Die Deutschen seien wohl die ersten, die dem "eigenen Barbarentum Erinnerungsorte geschaffen haben und schaffen".

Nun wurde in Berlin eine Diskussion um ein neues Projekt zur Erinnerung an den Holocaust eröffnet. So soll möglichst bald ein "Deutsches Holocaust-Museum" eröffnet werden. Kuratoriumsvorsitzender der die Initiative tragenden Stiftung ist der niedersächsiche Parlamentspräsident Rolf Wernstedt. Der umstrittene Militärhistoriker Manfred Messerschmidt, einst Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr, hält auch eine Kombination aus Museum und Denkstätte für denkbar. Messerschmidt verwies darauf, daß es in den USA 60 Holocaust-Museen gebe. In Deutschland fehle bisher ein zentraler Ort der Aufarbeitung. Für den "Start" des Museums sei "ein zweistelliger Millionen-Betrag" erforderlich, erklärte Wernstedt.


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