© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Warum Uri Geller und Nessie einpacken können: "Akte-X" löst einen Billig-Mystik-Boom aus
Aliens in der Kloschüssel
von Manuel Ochsenreiter 

Die FBI-Agenten Mulder und Scully können nur noch dastehen und zusehen, wie der Mercedes mit den Beweismitteln in die regnerische Nacht verschwindet. Wieder waren die beiden "der Wahrheit" auf der Spur, und wieder waren "die anderen" ihnen einen kleinen aber bedeutenden Schritt voraus. Dieses Abenteuer der beiden Agenten endet genauso frustrierend wie die anderen zuvor. Und fünf Millionen Akte-X Zuschauer zappen weiter zur "Fahndungsakte" oder zu Birgit Schrowange auf RTL.

"Akte X, Die unheimlichen Fälle des FBI" ist schlechthin einer der erfolgreichsten US-Importe der letzten Jahre. Anders als irgendwelche Comedyserien und Fließbandsoaps fordert "Akte X" seinen Zuschauern mehr ab als Verständnis für mißglückte Liebesbeziehungen und schlechten Billig-Humor. Es geht um das Geheime, das Unerklärliche. Dort spüren die FBI-Agenten Fox Mulder und Dana Scully merkwürdigen Phänomenen nach und machen dabei Bekanntschaft mit Außerirdischen, Verrückten, Monstern und nicht zu vergessen – einer geheimnisvollen Verschwörung.

Agent Mulder glaubt an UFOs, magische Kräfte und allerlei Phantastisches, was ihm an der Universität viel Spott, Hohn und den Spitznamen "Spooky" einbrachte. Trotzdem schmückt sein Büro ein von Serien-Produzent Chris Carter selbst entworfenes UFO-Plakat mit dem Text "I want to believe". Seine Partnerin Scully ist das glatte Gegenteil, sie ist äußerst skeptisch und glaubt nur an gesicherte Daten und Fakten. Angepriesen als "der Gläubige" und "die Skeptikerin", durchforsten die beiden seit vier Staffeln, insgesamt 117 Folgen und neuerdings einem Kinofilm einen Dschungel aus glibbrigen Kanalmonstern, grauenhaften Menschenexperimenten und ziemlich fiesen Außerirdischen, die immer mal wieder auftauchen. Doch auch die sonstigen, ständig auftauchenden Charaktere sind fast ausschließlich zwielichtige Typen, bei denen man nie so genau weiß, auf wessen Seite sie eigentlich stehen.

Angefangen von FBI-Vizedirektor Skinner, dem Chef der beiden Agenten, der schon mal irgendwelche Vorgaben "von oben" bekommt. Oder der geheimnisvolle Mr. X, der Mulder einen Hinweis gibt, wenn er mit weißem Klebeband ein Kreuz an sein Küchenfenster klebt. Doch auch bei Mr. X weiß keiner so genau, für wen er eigentlich arbeitet, und nicht selten sind seine Hinweise eher verwirrend als hilfreich. Die einzigen richtigen Helfer von Mulder und Scully sind ein Kollektiv wirrer aber fähiger Wissenschaftler.

Volkspädagogisch wird es bei den ausgemachten Bösewichtern. Einer wird nur "Krebskandidat" genannt, denn er ist passionierter Kettenraucher, dessen Marke Marlboro erstaunlich ähnelt. Böse Menschen rauchen – die Amerikaner wissen es schon lange.

Der "Akte X"-Boom ist nicht zu übersehen. In besonders "hippen" Geschäften sind die Regale voll mit "Akte X"-Fanwear, und der wahre X-Crack kann sich alle Folgen auf Video kaufen oder sich auf den unzähligen inoffiziellen X-Homepages über die Schuhgrößen und Telefonnummern von Scully und Mulder informieren. Auch Bildschirmschoner sind zu haben, auf denen Scully-Darstellerin Gillian Anderson in schwarzer Unterwäsche auf dem Bildschirm posiert. Die Fernsehsender füllen ihre Programme im Kampf um Einschaltquoten mit allerhand obskuren Mystik-Serien. "PSI-Factor", "X-Factor" und "Millennium" heißen die US-Importe, das Fernsehmagazin "taff" präsentiert die "wahren X-Akten" und die "echten Mulders und Scullies". Und die leicht verwirrte dickliche Hausfrau bei "Vera am Mittag", die steif und fest behauptet, von Außerirdischen entführt und geschwängert worden zu sein, erhält durch den Fließband-Mystik-Boom eine eigenartige Seriosität. Uri Geller, der altbekannte Löffelverbieger, wird zum Langweiler, verglichen mit manchen "Akte X"-Typen, die sich schon mal unsichtbar machen oder auch fliegen können.

Auch die Komplotte der Mächtigen können sich sehen lassen. Jede rechte oder linke Verschwörungstheorie über Illuminati, Freimaurern und der Nazi-Siedlung in der Antarktis (Neuschwabenland) verblaßt bei den Verstrickungen, gegen die Mulder und Scully vorgehen. In diesem Dickicht bleibt sogar Platz für trockenen Akte-X-Humor.

Agent Mulder spart in den Folgen auch nicht mit moralisierenden Monologen, welche aber den Unterhaltungswert der "Akte X" Serie nur noch steigern. In ihnen prangert er die technische Verbohrtheit der Menschen an und den Unglauben an Geister, Kobolde und Außerirdische. Im wahren Leben spricht Schauspieler David Duchovny, der inzwischen 110.000 Dollar pro "Akte X"-Folge bekommen soll, lieber über das Geld, das der Kinofilm einspielen soll. Da denkt er schon mal über einen zweiten Teil nach, "wenn es sich lohnt".

Man spart auch nicht mit Anspielungen. So pinkelt der FBI-Mann im Film gegen ein "Independence Day"-Plakat, und das Zentrum der "Verschwörung" liegt höchstwahrscheinlich – da lacht das rechte Herz – bei den Vereinten Nationen. Im Film übernimmt übrigens Armin Müller-Stahl den Part des germanischen Bösewichts im Verschwörerkreis.

Die Botschaft der wahrheitssuchenden Agenten ist immer dieselbe: "Die Wahrheit ist irgendwo da draußen."

Also: Vorsicht ist angesagt. Wir leben in einer "Akte X"-Welt voller Pyramiden, 666en, Baphomets, Opferkulten und unappetitlichen Exhumierungen. Wem das zuviel wird, der zappt einfach weiter zu "Gute Zeiten – Schlechte Zeiten" oder engagiert sich mutig-mental in der "Lindenstraße" für die gute Sache. Die große Frage der nächsten Staffel ist aber, ob ein ungeschriebenes "Akte X"-Gesetz endlich mal gebrochen wird: Wann werden Mulder und Scully endlich ein Paar, oder wann reden sie sich wenigstens mal mit ihren Vornamen an? Bis dahin werden wohl noch einige UFOs landen müssen.


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