© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Schöne neue Multikulti-Welt
JF
 

Immer wieder verbreiten bestimmte Medien die These, daß "Fremdenfeindlichkeit" hauptsächlich gerade dort vorkommt, wo sich die wenigsten Fremden befinden. Das politische Klima in den neuen Bundesländern dient dann oft als Beweis dafür. Doch diese These ist nachweislich falsch. Multiethnische Gesellschaften besitzen fast per definitionem strukturelle Schwächen, das heißt sie verstärken in aller Regel gesellschaftliche Zentrifugalkräfte. Das unterstrich schon die 1977 postulierte Theorie des amerikanischen Soziologen Cline, wonach die Supermacht UdSSR durch ihre Heterogenität auf Dauer schwächer sein werde, als es äußerlich den Anschein habe. Ebenso wie sich der Traum einer ethnisch neutralen Identität des "Sowjetbürgers" als unerreichbar erwies, entwickeln die USA allerdings heute vergleichbare Eigenschaften und steigende interne Spannungen durch den Aufstieg des multi-culturalism im Zuge der demographischen Wandlung von einem überwiegend "Euro-Amerika" hin zu einem kulturell weitaus vielfältigeren Staat, dessen heutige Immigranten sich nicht alle mit der gleichen Begeisterung amerikanisieren wie ihre überwiegend aus Europa stammenden Vorgänger. Spannungen herrschen dort, wo diese zahlenmäßig am stärksten vertreten sind und der Kontakt mit der Restbevölkerung am häufigsten ist. Dies scheint die Gegenthese der kulturellen Kompatibilität als Voraussetzung für dauerhaft friedliche Koexistenz oder Assimilation zu bestätigen.

Objektiv betrachtet, wirkt der demographische Zuwachs einer Gruppe sich zwangsläufig durch politischen, sozialen und ökonomischen Druck auf die anderen Gruppen aus und verursacht Gegenreaktionen, je mehr sich diese Entwicklung auf den Wettbewerb um Ressourcen auswirkt. In diesem Wettbewerb treten Gruppeninteressen in den Vordergrund, und kollektive werden eher als individuelle Interessen vertreten. Hoffnungen auf Integration und Assimilation einer großen Anzahl von Menschen setzen daher ein Minimum an Kompatibilität der Werte voraus, welche in vielen Fällen einfach nicht vorhanden ist. Der Transfer von inkompatiblen Wertesystemen und schon bestehenden Gruppenkonflikten – inklusive Streitthemen wie Frauenrechte, Eigentumsrechte, religiöse Grenzen, Rechtsprechung, "Blutrache" usw. – entwickelt sich dadurch von den anfänglichen normativen Fragen der Toleranz hin zu realpolitischen Fragen der Machtprojektion durch zahlenmäßige Stärke. Dadurch können Gebiete ihren ursprünglichen Charakter auf Kosten einer neuen Prägung durch die stärkste Gruppe verlieren und die ursprünglichen Einwohner verdrängt, vertrieben oder kolonisiert werden. Gebiete "kippen" bzw. es kommt zu einer verstärkten Emigration seitens der Angehörigen der ursprünglichen Bevölkerung ab einem Zuwandereranteil von ungefähr 15 Prozent. Die multikulturellen Vorzeigegebiete befinden sich meist in einer Transformationsphase und zeigen nicht das Endresultat.

Konflikte können durch demographische Verschiebungen sowohl über Grenzen hinweg transferiert werden als auch zusätzliche Konflikte verursachen, wie beispielsweise die Entwicklung im "Tutsi-Dreieck" Ruanda, Burundi und Kongo gezeigt hat. Als entscheidender Hintergrund ist festzuhalten, daß das Territorium als "Heimat" emotional einen außerordentlich hohen Stellenwert hat, weil es durch eine große Anzahl der Mitglieder der eigenen Gruppe bevölkert wird und nicht, weil es landschaftlich möglicherweise besonders reizvoll ist. Ein Volk ist nicht ein Volk, weil es zwischen diesem Berg und jenem Fluß wohnhaft ist, sondern es ist dort beheimatet, weil es ein Volk ist. Demnach können nicht- assimilierte Einwanderergruppen, auch wenn bereits Generationen in dem fremden Gebiet geboren wurden, für sich geschlossen territoriale Ansprüche erheben und legitimieren, ohne dabei auf die Ureinwohner Rücksicht zu nehmen. Der Mensch scheint, mit Ausnahme kleiner politisch global denkender Eliten, nach wie vor ein territoriales Wesen zu sein, dessen "psychologische Geographie" größtenteils darüber entscheidet, welche Gebiete als "Heimat" gelten. Nur ein Tschetschene kann erklären, weshalb er sich für ein unabhängiges Tschetschenien auf einen russischen Panzer stürzt. Für das normale Mitglied einer anderen Gruppe ist Tschetschenien nicht von vergleichbarem Wert, und eine ähnliche Opferbereitschaft ist allenfalls nur für die Interessen der eigenen Heimat oder Volksgruppe nachvollziehbar. Hier gilt es, zwischen "Raubnationalismus" und dem Einsatz staatenloser ethnischer Gruppen für ihre Ziele zu unterscheiden, die um ihre eigene Zukunft ihren Werten und ihrer Kultur gemäß entscheiden wollen. Da dabei oft die eigene Identität auf dem Spiel steht, kann letzteres als "Existenznationalismus" beschrieben werden.

Versuche, nun mittels Erhöhung der Zahl der persönlichen Kontakte zwischen Mitgliedern der unterschiedlichen Gruppen eine permanente Besserung der Beziehungen zu bewirken, führen meist zum Gegenteil, nämlich einer weiteren Polarisierung. Der Abbau von "Vorurteilen" wird zwar oft in der Tat erreicht, allerdings nur insofern, als diese sich in vielerlei Hinsicht als zutreffend erwiesen und in manchen Fällen sogar verstärkt wurden.

Probleme wie eine Steigerung des Konfliktpotentials wurden in Untersuchungen von Experten ethnischer Konfliktforschung nachgewiesen, die bemerkten, daß eine Zunahme von Kontakten zum Zweck des Abbaus von gegenseitigem Mißtrauen zwischen Serben und Kroaten, Flamen und Wallonen, Québecois und Anglo-Kanadiern gerade zum Gegenteil führte. Man wurde sich nicht nur der Gemeinsamkeiten, sondern auch der Unterschiede bewußt. In Südafrika sind es gerade die burischen Stahl- und Minenarbeiter, die ihr Leben lang täglich im engen Kontakt mit ihren schwarzen Kollegen stehen – der Sprachen mächtig und der Kulturen bewußt sind –, die einen eigenen Staat anstreben. Die weißen Oberschichten, traditionell eher liberal und multikulturell eingestellt, sind es, die jetzt in Massen das Land verlassen, auf der Flucht vor der explodierenden Kriminalität und den Folgen der eigenen Politik.

Auch verfügen inter-ethnische Freundschaften, Ehen und politisch bewußt multikulturell orientierte Gruppierungen oft nicht über genügend Einfluß, um das Konfliktpotential nennenswert zu verringern. Der Anteil der Mischehen nimmt ab in Zeiten ethnischer Spannungen. Die Kinder übernehmen in der Regel die Identität des väterlichen Teils und vertreten beim Ausbruch von Gewalt überwiegend die Interessen dieser Gruppe. Der Anteil der Mischehen in Sarajewo betrug vor dem Ausbruch der Gewalt immerhin 25 Prozent; multiethnische Verbände wie das "Civic forum" hielten Friedensdemonstrationen ab und betonten vergebens gegenseitige Abhängigkeit und Toleranz. In Ruanda spaltete sich selbst die katholische Kirche nach ethnischen Gesichtspunkten auf.

Integration und Assimilation beruhen auf einem Einverständnis beider Gruppen, wonach das Ablegen der alten Identität zugunsten einer neuen als allgemein wünschenswert gesehen wird. Diese Zustimmung kann genauso wenig künstlich erzeugt werden wie die Toleranz, die als Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft auch als Alternative für gescheiterte Integration dienen soll. Beide Modelle beruhen auf Annahmen und Voraussetzungen, die als kulturelle Version des gescheiterten Marxismus gelten. Wo eine menschenfeindliche sozialökonomische Utopie durch die Schrotthaufen des Ostens als falsch bewiesen wurde, da bäumt sich jetzt die Linke noch einmal mit einem ähnlichen Modell auf – diesmal mit einer menschenfeindlichen sozialkulturellen Utopie –, dessen Wurzeln in den "kulturellen Relativismus"-Thesen von Franz Boas und Margaret Mead ihren Ursprung haben. Vergessen wurde dabei allerdings, daß diese beiden Anthropologen nicht nur Marxisten waren, sondern, wie inzwischen nachgewiesen wurde, auch die Resultate ihrer Studien gefälscht haben, damit das gewünschte Ergebnis herauskam. Mit Entschuldigungen ist man von links schnell bei der Hand, Konsequenzen werden nicht gezogen


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