© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Pinchas E. Lapide: Rom und die Juden
Was geschah im Vatikan?
Lothar Groppe SJ.

Dieses Buch des bekannten jüdischen Theologen und Historikers Pinchas E. Lapide konnte nach langer Pause in einer zweiten Auflage erscheinen und vermag die gezielten Verleumdungen Pius’ XII. durch Hochhuths "Stellvertreter" und dessen Epigonen durch überzeugende Fakten zu entkräften. Dabei ist dieses Werk keineswegs eine Liebeserklärung an die katholische Kirche. Aber der im vergangenen Oktober verstorbene Autor hat den Willen zur Gerechtigkeit und historischen Wahrheit. Während Hochhuth keinen Zugang zu den Archiven des Vatikans erhielt und dafür seiner ausschweifenden Phantasie die Zügel schießen ließ, stützt sich Lapide neben den kirchlichen Dokumenten vorwiegend auf jüdische Archive, die gewiß nicht im Verdacht stehen, pro-katholisch eingestellt zu sein. In einem Interview kurz vor seinem Tod bezeichnet Lapide die seit Hochhuth gegen Papst Pius XII. erhobenen schweren Vorwürfe als Verleumdung. Hierbei machte er auch darauf aufmerksam, daß die jüdische Kritik an Pius XII. erst mit Hochhuth, also nach dem Tod des Papstes, einsetzte. Golda Meir, die damalige israelische Außenministerin, schrieb noch am Tag nach dem Tod Pius’, daß Hunderttausende von todgeweihten Juden ihr Überleben den direkten oder indirekten Interventionen dieses Papstes verdankten und diese Tatsache "mit goldenen Lettern" in den Geschichtsbüchern Israels notiert sei.

Lapide behandelt das Verhältnis von katholischer Kirche und Juden im Lauf der Geschichte, befaßt sich verständlicherweise aber vorwiegend mit Pius XII. (S. 75-288). Der Autor legt dar, was auf Weisung Pius’ in den verschiedenen Ländern geschah. In Italien war er deshalb besonders erfolgreich, weil das Land mehrheitlich katholisch war. Am 10. Oktober 1958 veröffentlichte die israelische Gewerkschaftszeitung Davar den Bericht eines Offiziers der jüdischen Brigade, der seine Eindrücke vom Einmarsch in Rom im Juni 1944 wiedergibt. Jüdische Überlebende erklärten: "Wenn wir gerettet worden sind, wenn noch immer Juden in Rom leben, dann kommt mit uns und dankt dem Papst im Vatikan. Denn im Vatikan selbst, in Kirchen, Klösern und Privathäusern wurden Juden auf seinen persönlichen Befehl versteckt … "

Einige selbsternannte Sittenrichter unserer Tage sollten überdenken, was Lapide schreibt: "Insgesamt war Italien das Land der Achse, wo die katholische Kirche – abgesehen vom Papst – die geringste Zahl an öffentlichen Protesten erhob, aber den verfolgten Juden schweigend die wirksamste Hilfe erwies." Dagegen hat der katholische Klerus der Niederlande lauter und häufiger protestiert als die Hierarchie aller anderen von den Nazis besetzten Ländern. Aber aus keinem anderen Land wurden soviele Juden – nämlich 79 Prozent – in die Todeslager deportiert (S. 174).

Lapide geht zwar nicht auf "Großdeutschland" ein, behandelt aber zehn von den Nationalsozialisten behandelte Länder recht ausführlich. Er zieht folgendes Fazit: "Die katholische Kirche ermöglichte unter dem Pontifikat von Pius XII. die Rettung von mindestens 700.000, wahrscheinlich aber sogar von 860.000 Juden vor dem sicheren Tod unter den Händen des Nationalsozialismus … Diese Zahlen … übersteigen bei weitem die der von allen anderen Kirchen, religiösen Einrichtungenund Hilforganisationen zusammengenommen. Obendrein stehen sie in auffallendem Kontrast zu dem unverzeihlichen Zögern und heuchlerischem Lippendienst von Organisationen außerhalb von Hitlers Einfluß, die zweifellos über weit größere Möglichkeiten verfügten, Juden zu retten, solange noch dazu Zeit war: das Internationale Rote Kreuz und die westlichen Demokratien" (S. 188).

The Jewish Chronicle urteilte über Lapides Werk: "Lapides Beweisführung zu dieser Rechnung erscheint mir schlüssig … Hätten denn Papst Pius XII. und seine Kirche überhaupt mehr tun können?" Und in einer Rezension von Radio Lille hieß es: "‘Rom und die Juden’ sollte gelesen und verbreitet werden. Es ist das Werk eines aufrechten Mannes, das Werk eines Historikers und ein Buch, das Ignoranz, Mißtrauen und Rassenhaß langsam verdrängen könnte. Das brauchen wir vielleicht mehr denn je.".

Pinchas E. Lapide: Rom und die Juden, Gerhard Hess Verlag, Ulm 1997, 375 Seiten, kt., 42 Mark


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